Streit über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Änderungskündigung, BAG, Revisionsurteil vom 16. Mai 2002, 2 AZR 292/01

Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Änderungskündigung.
Die am 24. Februar 1944 geborene Klägerin ist seit Oktober 1989 bei der Beklagten als
gewerbliche Arbeitnehmerin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden auf Grund
beiderseitiger Tarifbindung der Parteien die Tarifverträge für die gewerblichen Arbeitnehmer der
Textilindustrie in den Ländern Hamburg und Schleswig-Holstein Anwendung.
Die Klägerin arbeitete bis Mai 1996 an Ringspinnmaschinen in der Spinnerei und erzielte im
Leistungslohn zuletzt eine Vergütung von 24,00 DM brutto in der Stunde. Seit 1994 reduzierte sich
im Wollbereich der Spinnerei der Arbeitskräftebedarf. Im Jahr 1996 führten der Betriebsrat und
die Geschäftsleitung der Beklagten Verhandlungen, in denen ua. beschlossen wurde, drei
Mitarbeiterinnen der Spinnerei künftig als Pendlerinnen sowohl in der Spinnerei als auch im
Musterzimmer einzusetzen. Da im Musterzimmer im Zeitlohn gearbeitet wurde, einigten sich die
Betriebspartner für die Position der Pendlerinnen auf eine Mischentlohnung, die unter dem
Lohnniveau der Spinnerei und über dem Lohnniveau im Musterzimmer lag. Dementsprechend
ergänzten die Parteien den Arbeitsvertrag der Klägerin mit schriftlicher Vereinbarung vom 18.
April 1996, nach der sie ab dem 1. Mai 1996 für ihre neue Tätigkeit als “Pendlerin zwischen
Musterzimmer und Spinnerei” eine Vergütung in Höhe von insgesamt 20,00 DM brutto in der
Stunde erhalten sollte. Diese setzte sich aus einem Stundenlohn gemäß der Lohngruppe II in
Höhe von 15,24 DM, einer Zulage gemäß Lohnkatalog Stufe 1 in Höhe von 1,29 DM und einer
übertariflichen freiwilligen Zulage von 3,47 DM brutto zusammen. Die Klägerin erzielte zuletzt
einen Effektivlohn in Höhe von 21,72 DM brutto in der Stunde, in dem nach wie vor die
übertarifliche freiwillige Zulage in Höhe von 3,47 DM brutto/Stunde enthalten ist.
Die Klägerin wurde lediglich im Januar 1998 für insgesamt 37 Stunden als Pendlerin in der
Spinnerei eingesetzt. Ansonsten arbeitete sie ausschließlich im Musterzimmer bzw. übernahm
auch Arbeiten in der Kantine als Küchenhilfe.
Mit Schreiben vom 15. Mai 2000 teilte die Beklagte dem Betriebsrat ihre Absicht mit, die Klägerin
ab 1. Oktober 2000 ausschließlich im Musterzimmer und in der Kantine einzusetzen und ihr einen
entsprechenden Lohn ohne die übertarifliche freiwillige Zulage zu zahlen. Der Betriebsrat lehnte
die Änderungen mit dem Hinweis auf die vereinbarten Entlohnungsbedingungen im
Zusammenhang mit den Umbauten in der Spinnerei aus dem Jahr 1996 ab.
Mit Schreiben vom 29. Mai 2000 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum 30.
September 2000 und bot ihr gleichzeitig eine Weiterbeschäftigung im Musterzimmer ab dem 1.
Oktober 2000 unter Streichung der bisherigen Zulage in Höhe von 3,47 DM an. Zur Begründung
ihres Angebots verwies die Beklagte auf den Wegfall der Pendleraufgaben. Die Klägerin hat das
Angebot unter Vorbehalt angenommen und Kündigungsschutzklage erhoben.
Sie hat die Auffassung vertreten, es handele sich um eine persönliche, teilweise ihren früheren
Besitzstand wahrende Zulage, die vertraglich nicht an eine bestimmte Leistung gebunden
worden sei. Ihr sei diese Zulage wegen ihrer Umsetzung unter Beteiligung des Betriebsrats
zugesagt worden, weil im Musterzimmer nicht mehr im Leistungslohn gearbeitet werde. Die
Änderungskündigung sei auch deshalb unwirksam, weil der Betriebsrat zu ihr nicht
ordnungsgemäß angehört worden sei und sie gegen die tarifliche Alterssicherung verstoße.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß die Änderungskündigung der Beklagten vom 29. Mai 2000 sozial
ungerechtfertigt und daher unwirksam ist.
Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags die Ansicht vertreten, die
Pendlertätigkeit der Klägerin sei Anfang des Jahres 2000 endgültig weggefallen. Auf Grund
geringer Auräge im Bereich des Wollkrempels seien die hierfür benötigten speziellen
Spinnmaschinen auf Dauer stillgelegt worden. Der Arbeitsvertrag der Klägerin sei
dementsprechend anzupassen. Auch aus Gründen der Gleichbehandlung mit den anderen
Mitarbeitern des Musterzimmers sei der Wegfall der Zulage geboten. Die Änderungskündigung sei
schließlich schon deshalb wirksam, weil sie den Wegfall der Zulage auch im Wege des
Direktionsrechts hätte anordnen können.
Das Arbeitsgericht hat nach dem Klageantrag erkannt. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage
abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die
Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet. Die Änderungskündigung der Beklagten vom 29. Mai
2000 ist sozial ungerechtfertigt (§ 2 Satz 1, § 1 Abs. 2 KSchG). Deshalb war das Berufungsurteil
aufzuheben und die erstinstanzliche Entscheidung wiederherzustellen.
A. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die betriebsbedingte Änderungskündigung sei
weder sozialwidrig noch aus anderen Gründen rechtsunwirksam.
Die Beklagte habe mit Änderungskündigung vom 29. Mai 2000 rechtswirksam den Lohn der
Klägerin um die gezahlte Zulage von 3,47 DM zum 1. Oktober 2000 gekürzt. Der Wegfall dieser
Zulage sei aus dringenden betrieblichen Gründen sozial gerechtfertigt. Die Zulage sei für die
Bereitschaft der Klägerin zum Pendeln zwischen Spinnerei und Musterzimmer gezahlt worden.
Auf Grund der durchgeführten Beweisaufnahme stehe der Wegfall des Pendelbedarfs ab Anfang
des Jahres 2000 fest. Die Kürzung der Zulage sei auch nicht unbillig.
Der Betriebsrat sei mit Schreiben vom 15. Mai 2000, das alle wesentlichen Umstände enthalten
habe, ordnungsgemäß zur beabsichtigten Änderungskündigung angehört worden. Seiner
Zustimmung zu dieser Maßnahme gemäß § 99 Abs. 1 BetrVG habe es nicht bedur, da die
Klägerin nicht in einen anderen Arbeitsbereich versetzt werden sollte. Der wesentliche Inhalt
ihrer Arbeitsaufgabe und damit das Gesamtbild ihrer Tätigkeit habe sich nicht verändert. Da eine
Versetzung nicht vorliege, diese aber Grundlage für Ansprüche aus dem Tarifvertrag zur
Sicherung älterer Arbeitnehmer sei, unterfalle die Klägerin nicht dem tariflichen Schutz.
Im übrigen könne die Änderungskündigung auch als Widerruf der Leistungszulage zum 1.
Oktober 2000 angesehen werden, den die Beklagte nach billigem Ermessen habe wirksam
erklären können. Zwar enthalte die Vereinbarung der Parteien vom 18. April 2000 keinen
Widerrufsvorbehalt. Die Beklagte sei aber zum Widerruf befugt, da ab Anfang des Jahres 2000 ein
Pendelbedarf nicht mehr bestanden habe und deshalb eine wesentliche Änderung der
Geschäftsgrundlage dieser Vereinbarung eingetreten sei. Die Parteien hätten, wenn sie das
Entfallen der Pendeltätigkeit vorausgesehen hätten, einen Widerrufsvorbehalt in die
Vereinbarung aufgenommen.
B. Dem folgt der Senat nicht. Die Revision rügt zu Recht eine unzutreffende Anwendung von § 2
Satz 1 iVm. § 1 Abs. 2 KSchG. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist die
Änderungskündigung nicht sozial gerechtfertigt.
I. Für eine betriebsbedingte Änderungskündigung nach § 2 KSchG müssen hinsichtlich ihrer
sozialen Rechtfertigung insbesondere die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Satz 1 bis 3 KSchG
vorliegen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist das Änderungsangebot des
Arbeitgebers daran zu messen, ob dringende betriebliche Erfordernisse gemäß § 1 Abs. 2 KSchG
es bedingen und ob sich der Arbeitgeber bei einem an sich anerkennenswerten Anlaß zur
Änderungskündigung darauf beschränkt hat, nur solche Änderungen vorzuschlagen, die der
Arbeitnehmer billigerweise hinnehmen muß (zuletzt Senat 1. Juli 1999 – 2 AZR 826/98 – AP KSchG
1969 § 2 Nr. 53 = EzA KSchG § 2 Nr. 35; 22. November 2000 – 2 AZR 547/99 – AP KSchG 1969 § 2 Nr.
52 = EzA KSchG § 2 Nr. 40; 27. September 2001 – 2 AZR 236/00 – AP TVG § 4 Nachwirkung Nr. 40).
II. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte den Arbeitsvertrag der Klägerin bezüglich Art
und Ort ihrer Tätigkeit einerseits und einer dafür gewährten Tätigkeits- bzw. Funktionszulage
andererseits oder ob sie nur diese Zulage, die nach Auffassung der Klägerin eine
Besitzstandszulage ist, verändern wollte. Weder für eine Änderung der bisherigen Tätigkeit der
Klägerin noch für eine bloße Reduzierung der Zulage hat die Beklagte nämlich hinreichende
dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung der Klägerin zu ihren
bisherigen Arbeitsbedingungen entgegenstünden, dargelegt.
1. Würde es sich – wie die Klägerin meint und wofür angesichts des Zusammenhangs der
Vereinbarung der “freiwilligen übertariflichen Zulage” mit dem Wechsel der Klägerin von der
Spinnerei in das Musterzimmer und den damit verbundenen erheblichen Lohneinbußen
einerseits sowie auf Grund der jahrelangen Zahlung der Zulage ohne tatsächlichen Einsatz als
Pendlerin andererseits einiges, wenn nicht sogar alles spricht – bei der vereinbarten Zulage um
eine Besitzstandszulage handeln, die als Ausgleich für die Lohnminderung der Klägerin im
Anschluß an ihren betriebsbedingten Wechsel in das Musterzimmer im Jahre 1996 von den
Parteien vereinbart worden war, wäre zur Zeit kein betriebsbedingter Grund ersichtlich, der den
Abbau dieses Entgeltbestandteils sozial rechtfertigen könnte.
2. Nichts anderes gilt, soweit sich die Beklagte ihrem Kündigungsschreiben entsprechend auf
eine Veränderung der Tätigkeit der Klägerin beruft und meint, der Grund für die Zahlung der
vereinbarten tätigkeitsbezogenen (Funktions- bzw. Bereitschafts-) Zulage sei entfallen. Auch
insoweit ist ein dringendes betriebliches Erfordernis nicht festzustellen.
Die Beklagte hat im einzelnen nicht nachvollziehbar dargelegt, weshalb ihre – im übrigen nicht
näher konkretisierte – behauptete unternehmerische Entscheidung, spezielle Spinnmaschinen
auf Dauer stillzulegen, dazu führt, den Bedarf für eine Pendlertätigkeit der Klägerin zwischen
Musterzimmer und Spinnerei bzw. ihre Bereitschaft hierzu endgültig zu verneinen. Das
Landesarbeitsgericht ist bei seiner Beurteilung davon ausgegangen, durch den vollständigen
Wegfall der Tätigkeiten im sog. Streichgarnbereich sei seit Anfang des Jahres 2000 der
Pendlerbedarf entfallen. Diese Schlußfolgerung ergibt sich aus dem vom Landesarbeitsgericht
festgestellten Sachverhalt jedoch nicht. Die Spinnerei besteht nach wie vor. Ein möglicher Einsatz
der Klägerin in der Spinnerei ist deshalb weiterhin denkbar und nach dem Vortrag der Beklagten
nicht zwingend ausgeschlossen. Daß die Klägerin ggf. nur im Streichgarnbereich der Spinnerei
eingesetzt worden ist bzw. eingesetzt werden und sich dafür bereithalten sollte, hat die Beklagte
nicht behauptet. Die arbeitsvertragliche Vereinbarung beschränkte sich jedenfalls nicht auf einen
Einsatz in diesem Teilbereich der Spinnerei. Auch hat die Klägerin vor ihrem Wechsel aus der
Spinnerei in das Musterzimmer nicht an den Spinnmaschinen im Streichgarnbereich gearbeitet.
Sie war früher an den sog. Ringspinnmaschinen tätig. Ob durch den Wegfall der Tätigkeiten im
Streichgarnbereich ein solcher Überhang an Arbeitskräen entstanden ist, daß auf Grund der
organisatorischen Vorgaben der Beklagten keine Vertretungssituationen mehr entstehen können,
die nicht mehr durch die Mitarbeiter der Spinnerei ausgeglichen werden können, ist von der
Beklagten nicht einmal in Ansätzen im Prozeß vorgetragen worden.
3. Hat sich die Tätigkeit der Klägerin seit 1996 aber nicht verändert, so ist eine – isolierte –
Reduzierung der vereinbarten Vergütung, die das eigentliche Ziel dieser Änderungskündigung ist,
nicht sozial gerechtfertigt. Bei der betriebsbedingten Änderungskündigung zur
Entgeltreduzierung ist zu berücksichtigen, daß der Arbeitgeber nachhaltig in das
arbeitsvertraglich vereinbarte Verhältnis von Leistung und Gegenleistung eingreift, wenn er die
vereinbarte Vergütung reduzieren will (vgl. Senat zuletzt 26. Januar 1995 – 2 AZR 371/94 – BAGE 79,
159; 20. August 1998 – 2 AZR 84/98 – AP KSchG 1969 § 2 Nr. 50 = EzA KSchG § 2 Nr. 31; 12.
November 1998 – 2 AZR 91/98 – BAGE 90, 182; 27. September 2001 aaO). Grundsätzlich sind
einmal geschlossene Verträge einzuhalten. Ein Geldmangel allein kann den Schuldner nicht
entlasten. Die Dringlichkeit eines schwerwiegenden Eingriffs in das Leistungs-/Lohngefüge, wie
es die Änderungskündigung zur Durchsetzung einer erheblichen Lohnsenkung darstellt, ist
deshalb nur begründet, wenn bei Aufrechterhaltung der bisherigen Personalkostenstruktur
weitere, betrieblich nicht mehr auffangbare Verluste entstehen, die absehbar zu einer
Reduzierung der Belegschaft oder sogar zu einer Schließung des Betriebes führen. Regelmäßig
setzt deshalb eine solche Situation einen umfassenden Sanierungsplan voraus, der alle
gegenüber der beabsichtigten Änderungskündigung milderen Mittel ausschöp (st.
Senatsrechtsprechung, siehe 20. August 1998, 1. Juli 1999, 21. September 2001 aaO). Vom
Arbeitgeber ist in diesem Zusammenhang zu verlangen, daß er die Finanzlage des Betriebs, den
Anteil der Personalkosten, die Auswirkung der erstrebten Kostensenkungen für den Betrieb und
für die Arbeitnehmer darstellt und ferner darlegt, warum andere Maßnahmen nicht in Betracht
kommen (Senat 27. September 2001 aaO). Solche Gründe für die Reduzierung der Zulage hat die
Beklagte nicht dargetan.
4. Die Änderungskündigung ist auch nicht aus Gründen der Gleichbehandlung aller
Mitarbeiterinnen im Musterzimmer sozial gerechtfertigt.
Dem Arbeitgeber, der mit einzelnen Arbeitnehmern einzelvertraglich eine höhere Vergütung
vereinbart hat, als sie dem betrieblichen Niveau entspricht, ist es verwehrt, die Vergütung unter
Berufung auf den Gleichbehandlungsgrundsatz dem (niedrigeren) Entgelt der übrigen
Arbeitnehmer anzupassen (BAG 28. April 1982 – 7 AZR 1139/79 – BAGE 38, 348; 1. Juli 1999 aaO).
Dies folgt schon aus dem Rechtssatz, daß beim Abschluß eines Arbeitsvertrages der Grundsatz
der Vertragsfreiheit Vorrang vor dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz hat (BAG 4.
Mai 1962 – 1 AZR 250/61 – BAGE 13, 103). Der Gleichbehandlungsgrundsatz dient allein zur
Begründung von Rechten, nicht aber zu deren Einschränkung (von Hoyningen-Huene Anm. zu AP
KSchG 1969 § 2 Nr. 3).
5. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist die Änderungskündigung schließlich
nicht schon deshalb sozial gerechtfertigt, weil die Beklagte die Zulage hätte wirksam widerrufen
können.
Zwar kann nach der Rechtsprechung des Senats eine Änderungskündigung sozial gerechtfertigt
sein, wenn ein wirksamer, billigem Ermessen entsprechender Widerruf einer Zulage im
Zusammenhang mit einer Änderungskündigung erfolgt und der Arbeitnehmer das darin liegende
Änderungsangebot unter Vorbehalt angenommen hat (Senat 15. November 1995 – 2 AZR 521/95 –
EzA BGB § 315 Nr. 45; kritisch dazu etwa APS-Künzl § 2 KSchG Rn. 106; von Hoyningen-
Huene/Linck KSchG 13. Aufl. § 2 Rn. 32 c; s. auch KR-Rost 6. Aufl. § 2 KSchG Rn. 106 a ff.). Einen
solchen Widerrufsvorbehalt, den die Beklagte hätte ausüben können, haben die Parteien aber
weder vereinbart, noch ergibt er sich aus den Gesamtumständen.
a) Dagegen spricht schon die Ausgestaltung der vertraglichen Vereinbarung der Parteien vom 18.
April 1996. Sie enthält keine ausdrückliche Aufnahme eines Widerrufsvorbehalts. Allein aus der
Bezeichnung der Zulage als “freiwillige übertarifliche Zulage” kann nicht auf einen
stillschweigend vereinbarten Widerrufsvorbehalt geschlossen werden. Die “freiwillige”
Gewährung einer Zulage schließt einen Rechtsanspruch des Arbeitnehmers auf die versprochene
Leistung nicht aus, sondern macht nur kenntlich, daß es sich um eine gesetzlich, tarifvertraglich
oder durch Betriebsvereinbarung nicht vorgesehene, zusätzliche Leistung der Beklagten handelt
(siehe auch BAG 26. Mai 1992 – 9 AZR 174/91 – AP BUrlG § 1 Treueurlaub Nr. 2 = EzA TVG § 4
Tariflohnerhöhung Nr. 21; 11. April 2000 – 9 AZR 255/99 – BAGE 94, 204), wovon auch die Parteien,
wie ihre Einlassungen im Rechtsstreit zeigen, selbst ausgehen. Die Beklagte hat insoweit mit
Verpflichtungswillen gehandelt (BAG 5. September 1985 – 6 AZR 216/81 – AP TVG § 4 Besitzstand
Nr. 1 = EzA TVG Tariflohnerhöhung Nr. 7).
b) Im übrigen kommt hinzu, daß – was vom Landesarbeitsgericht nicht erörtert worden ist – selbst
bei Vorliegen eines Widerrufsvorbehalts für die Zulage die Änderungskündigung noch weiter
daraufhin zu überprüfen wäre, ob die Veränderung der weiteren Arbeitsbedingungen, nämlich
soweit sie die Tätigkeit der Klägerin an sich betreffen, sachlich und sozial gerechtfertigt wären
und insoweit die Änderungskündigung rechtfertigen könnten.
c) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ergibt sich eine Befugnis der Beklagten
zum Widerruf der Zulage und zur Veränderung der vertraglich vereinbarten Bedingungen auch
nicht aus einer wesentlichen Änderung der Geschäftsgrundlage der Vereinbarung vom 18. April
1996.
Auf einen Wegfall der Geschäftsgrundlage und eine anpassende Ergänzung des Arbeitsvertrags
um einen Widerrufsvorbehalt kann sich die Beklagte schon deshalb nicht wirksam berufen, weil
das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage keinen selbständigen Änderungsgrund darstellt
(KR-Rost 6. Aufl. § 2 KSchG Rn. 54 k). Das Kündigungsrecht ist lex specialis (Ascheid
Kündigungsschutzrecht Rn. 91; Stahlhacke/Preis /Vossen Kündigung und Kündigungsschutz 8.
Aufl. Rn. 149; von Hoyningen-Huene/Linck KSchG 13. Aufl. § 1 Rn. 105 a; BAG 9. Februar 1995 – 2
AZR 389/94 – EzA KSchG § 1 Personenbedingte Kündigung Nr. 12). Soweit überhaupt der Wegfall
der Geschäftsgrundlage die Änderung der Arbeitsbedingungen notwendig macht, hat der
Arbeitgeber eine Änderungskündigung auszusprechen (vgl. insbesondere BAG 13. März 1987 – 7
AZR 792/85 – nv.).
III. Da die Änderungskündigung vom 29. Mai 2000 bereits auf Grund der fehlenden dringenden
betrieblichen Erfordernisse sozial ungerechtfertigt iSv. § 2 Satz 1 iVm. § 1 Abs. 2 und Abs. 1 KSchG
ist, bedurfte es keiner weiteren Prüfung, ob sie auch schon aus anderen Gründen
rechtsunwirksam war.