Nachzahlung wegen Krankheit, Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Urteil vom 19. April 1993 – 15 Sa 117/92

In Sachen
PP.
hat der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts gern. § 128
Abs. 2 ZPO in der Sitzung vom 26. Oktober 1994 durch den
Vorsitzenden Richter Matthes, die Richter Dr. Freitag und
Hauck, sowie die ehrenamtlichen Richter Bacher und Harnack
– 2 –
für Recht erkannt:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 19. April 1993 – 15 Sa 117/92 – aufgehoben.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 30. September 1992 – 2 Ca 2806/92 – abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.254,37 DM brutto zuzüglich 4 % Zinsen aus dem daraus sich ergebenden Nettobetrag seit dem 16. Februar 1992 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
V o n R e c h t s w e g e n !
T a t b e s t a n d :
Der Kläger ist seit dem 23. August 1972 bei der Beklagten
beschäftigt. Im Kalenderjahr 1991 war er an 16 Arbeitstagen arbeitsunfähig
krank.
Am 29. Januar 1992 schloß die Beklagte mit dem Betriebsrat
eine Betriebsvereinbarung “Prämienregelung für das Kalenderj ahr
1991”, die – soweit hier von Interesse – wie folgt lautet:
1. Geltungsbereich
Prämienberechtigt sind alle Mitarbeiter…, die am Tage der Prämienauszahlung in einem un- gekündigten Beschäftigungsverhältnis stehen und die am 31. Dezember 1991 eine Betriebszugehörigkeit
von mindestens sechs Monaten aufweisen.
Mitarbeiter, deren Arbeitsverhältnis 1991 kraft Gesetzes ganz oder teilweise ruhte …, fallen nicht unter diese Vereinbarung.

Teilzeitbeschäftigte erhalten die Prämie anteilig.
. .
2. Betrachtungszeitraum
Der für die Berechnung der Prämie zugrundeliegende
Betrachtungszeitraum beginnt mit dem
1. Januar und endet am 31. Dezember 1991.
3. Zeitpunkt der Auszahlung
Angestellte: Abrechnung zum 29. Februar 1992; Gewerbliche Mitarbeiter: Abrechnung zum 15. Februar 1992.
4. Berechnung der Jahresprämie
a) Grundlagen
Grundlage der Prämienermittlung ist:
Bei gewerblichen Mitarbeitern der monatsdurchschnittliche
Zeit-/Akkordlohn plus Überstunden.
Einbezogen wird die Lohnfortzahlung im Krankheitsfälle.
Nicht einbezogen werden:
Berechnungsbasis für Prämie: (Höchstprämienanspruch)
50 % des durchschnittlichen Brutto-Mo- natslohnes/Gehaltes der Monate Januar bis Dezember
1991
b) Variable Größen
Betriebszugehörigkeit:
Je nach Dauer der Betriebszugehörigkeit wird die Höhe der Berechnungsbasis (a) gestaffelt:
Sechs bis zwölf Monate Betriebszugehörigkeit 50 %
– 4 –
Ein bis zwei Jahre 75 %

Zwei bis fünf Jahre 80%
Fünf bis zehn Jahre 90 %
über zehn Jahre 100 %
5. Berechnungsvorgang
Lohn/Gehalt der Monate Januar bis Dezember 1991
davon 1/12 = durchschnittlicher Monatslohn
davon 50 % = Berechnungsbasis
davon x % (je nach Dauer der Betriebszugehörigkeit)
abzüglich davon x durch 30 (je nach Anzahl der Fehltage).
6. Jahresabschlußprämie für Auszubildende
7. Sonstiges
Die Jahresabschlußprämie ist eine außertarifliche,
freiwillige und jederzeit widerrufliche Einmalzahlung des Arbeitgebers, auf die auch dann kein Rechtsanspruch besteht, wenn gleichartige
oder ähnliche Leistungen mehrmals erbracht
werden.
8. Bei den Kürzungen werden berücksichtigt:
a) Unentschuldigte Fehltage.
Für jeden unentschuldigten Fehltag innerhalb des Betrachtungszeitraumes (Ziff. 2) wird 1/30 der Jahresabschlußprämie abgezogen.
b) Krankheitstage.
Als Krankheitstage gelten entschuldigte Krank- heitstage mit und ohne Lohnfortzahlung.
Ausgenommen hiervon sind:
Betriebsunfälle…

Alle Kuren (soweit sie nicht Suchtkuren).
Für jeden Krankheitstag innerhalb des Betrachtungszeitraumes
(siehe Ziff. 2) wird die Jahresabschlußprämie
um 1/30 gekürzt.
Letztmalig davor hatte die Beklagte im Jahre 1982 eine Prämie
gezahlt.
Die Beklagte kürzte die Jahresprämie des Klägers – und die
anderer Arbeitnehmer – im Hinblick auf die 16 Tage bezahlter Arbeitsunfähigkeit
um 16/30.
Der Kläger hält die Kürzung der Jahresprämie aus Rechtsgründen
für unwirksam und hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.254,37 DM brutto zuzüglich 4 % Zinsen aus dem hieraus sich ergebenden Nettobetrag seit dem 16. Februar 1992 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hält die in der Betriebsvereinbarung getroffene Kürzungsregelung
für wirksam.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen.
Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen
Klageanspruch weiter, während die Beklagte um Zurückweisung
der Revision bittet.
– 6 –
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e ;
Die Revison des Klägers ist begründet.
I. Das Landesarbeitsgericht hat die Betriebsvereinbarung vom
29. Januar 1992 und die darin enthaltene Kürzungsregelung für
krankheitsbedingte Fehltage für wirksam gehalten. Diese Regelung
verstoße nicht gegen höherrangiges Recht. Die Jahresprämie sei
kein Arbeitsentgelt, das nach den gesetzlichen Bestimmungen über
die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle fortzuzahlen sei. Eine
Kürzung der Prämie im Hinblick auf krankheitsbedingte Fehltage
verstoße nicht gegen den Sinn und Zweck dieser gesetzlichen
Bestimmung. Es liege auch kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz
vor. Die Betriebsvereinbarung halte einer
Billigkeitskontrolle stand, die an § 75 BetrVG zu messen sei.
II. Dieser Begründung vermag der Senat im Ergebnis nicht zu folgen.
1. Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht von der Entscheidung
des Sechsten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 15. Februar
1990 (- 6 AZR 381/88 – BAGE 64, 179 = AP Nr. 15 ZU § 611 BGB Anwesenheitsprämie)
ausgegangen. Nach dieser Entscheidung ist eine
vertragliche Vereinbarung – und damit auch eine Betriebsvereinbarung
oder eine tarifliche Regelung – zulässig, nach der eine vom
Arbeitgeber freiwillig gewährte Weihnachtsgratifikation durch
Zeiten krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit und sonstige Fehl-
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Zeiten gemindert werden kann, und zwar auch dann, wenn krankheitsbedingte
Fehlzeiten berücksichtigt werden, für die dem Arbeitnehmer
das Arbeitsentgelt fortzuzahlen ist.
2. Dieser Entscheidung schließt sich der Senat an.
a) Der Senat hat selbst wiederholt ausgesprochen, daß es dem
Arbeitgeber, den Betriebs- und Tarifvertragsparteien freisteht,
im einzelnen zu bestimmen, welche Zeiten ohne tatsächliche Arbeitsleistung
sich anspruchsmindernd oder anspruchsausschließend
auf die Sonderzahlung auswirken sollen, soweit dem nicht eine gesetzliche
Regelung – wie etwa die Vorschriften über die Entgeltfortzahlung
im Krankheitsfalle – entgegensteht (grundlegend Urteil
des Senats vom 5. August 1992 – 10 AZR 88/90 – AP Nr. 143 zu
§ 611 BGB Gratifikation – auch zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung
bestimmt – und von da an in ständiger Rechtsprechung). Der
Senat hatte allerdings bislang noch keine Gelegenheit zu entscheiden,
ob dies auch für Zeiten ohne Arbeitsleistung gilt, für
die aufgrund gesetzlicher Vorschriften das Arbeitsentgelt fortzuzahlen
ist, wie etwa für die ersten sechs Wochen einer Arbeitsunfähigkeit,
den Urlaub oder gesetzliche Feiertage. Er hat allerdings
für Fehlzeiten aufgrund der Mutterschutzfristen der §§ 3
und 6 MuSchG ausgesprochen, daß diese Zeiten einer tatsächlichen
Arbeitsleistung gleichzusetzen sind, d.h. nicht anspruchsmindernd
berücksichtigt werden dürfen (Urteil vom 12. Mai 1993 – 10 AZR
528/91 – AP Nr. 156 zu § 611 BGB Gratifikation).
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b) Auch Zeiten ohne tatsächliche Arbeitsleistung, für die ein
gesetzlicher Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgeltes besteht,
können sich anspruchsmindernd oder anspruchsausschließend
auf eine freiwillige Sonderzahlung auswirken.
Freiwillige Jahressonderzahlungen haben regelmäßig auch Entgeltcharakter,
d.h. sie sollen die im Betrieb während des Bezugszeitraumes
geleistete Arbeit zusätzlich vergüten. Sind solche
SonderZahlungen, wie in der Entscheidung des Sechsten Senats vom
15. Februar 1990 dargelegt, kein Arbeitsentgelt, das kraft Gesetzes
für Zeiten der Arbeitsunfähigkeit fortgezahlt werden muß,
dann ist der Arbeitgeber auch nicht gehindert, solche Sonderzahlungen
nach der Dauer der tatsächlichen Arbeitsleistung im Betrieb
zu bemessen und Zeiten außer Betracht zu lassen, in denen
es an einer tatsächlichen Arbeitsleistung fehlt. Der Senat hat
daher noch am 28. September 1994 entschieden, daß aus diesem
Grunde eine Regelung, nach der eine Jahressonderzahlung für Zeiten
des Erziehungsurlaubs zu kürzen ist, nicht gegen Art. 119
EWG-Vertrag verstößt, weil es ein sachlicher, die Differenzierung
rechtfertigender Grund ist, wenn zusätzliche Entgeltleistungen
danach bemessen werden, in welchem Umfange der Arbeitnehmer auch
gearbeitet hat.
c) Die Revision macht geltend, eine Regelung, die zur Kürzung
der Jahressonderleistung wegen krankheitsbedingter Fehlzeiten
führt, verstoße gegen das Maßregelungsverbot des § 612 a BGB. Das
ist jedoch nicht der Fall.
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Nach § 612 a BGB darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer bei
einer Vereinbarung oder einer Maßnahme nicht benachteiligen, weil
der Arbeitnehmer in zulässiger Weise seine Rechte ausübt.
Der Senat hat schon Bedenken, ob diese Vorschrift überhaupt
auf die vorliegende Fallgestaltung anwendbar ist. Der Arbeitnehmer,
der arbeitsunfähig ist und deswegen nicht arbeitet, übt
nicht in zulässiger Weise irgendein Recht aus. Durch die bestehende
Arbeitsunfähigkeit wird vielmehr die Arbeitsleistung unmöglich
und der Arbeitnehmer nach § 275 BGB von der Verpflichtung
zur Arbeitsleistung frei. Aus den gleichen Überlegungen hat auch
der Zweite Senat Zweifel angemeldet, ob eine Kündigung wegen unzumutbarer
Lohnfortzahlungskosten überhaupt eine Maßregelung im
Sinne von § 612 a BGB sein kann, diese Frage jedoch letztlich dahingestellt
sein lassen (Urteil vom 16. Februar 1989 – 2 AZR
299/88 – BAGE 61, 132, 151 = AP Nr. 20 zu § 1 KSchG 1969
Krankheit).
Allerdings ist richtig, daß dem erkrankten Arbeitnehmer,
auch wenn er objektiv arbeitsunfähig ist, eine Entscheidungsmöglichkeit
dahin verbleibt, ob er gleichwohl arbeitet oder der Tatsache
Rechnung trägt, daß er von seiner Arbeitspflicht kraft Gesetzes
befreit ist. An diese Entscheidungsmöglichkeit knüpfen gerade
Anwesenheitsprämien – und auch die vorliegende Betriebsvereinbarung
– an, indem sie den Arbeitnehmer motivieren wollen,
nicht nur trotz bestehender Krankheit, sondern auch trotz objektiv
bestehender Arbeitsunfähigkeit zu arbeiten. Aus den gleichen
Überlegungen hat auch der Erste Senat in einem Personalinformationssystem,
das auf einzelne Arbeitnehmer bezogene Aussagen über
krankheitsbedingte Fehlzeiten, attestfreie KrankheitsZeiten und
unentschuldigte Fehlzeiten erarbeitet, eine zur Überwachung des
Verhaltens der Arbeitnehmer mitbestimmungspflichtige technische
Einrichtung gesehen, weil damit Aussagen über ein “Krankheitsverhalten”
des Arbeitnehmers erarbeitet werden (Beschluß vom
11. März 1986 – 1 ABR 12/84 – BAGE 51, 217 = AP Nr, 14 zu § 87
BetrVG 1972 Überwachung). Gleichwohl liegt in der Kürzung von
Jahresleistungen für krankheitsbedingte Fehlzeiten keine unzulässige
Maßregelung.
Zwar kann eine Benachteiligung auch in der Vorenthaltung von
Vorteilen liegen, das gilt aber dann nicht, wenn die Vorenthaltung
der Vorteile sachlich gerechtfertigt oder in der Rechtsordnung
schon angelegt ist (Staudinger/Richardi, BGB, § 612 a,
Rz 10; Thüsing, Anwendungsbereich und Regelungsgehalt des Maßregelungsverbotes
gern. § 612 a BGB, NZA 1994, 728, 731; Schwarze,
Die Auslegung des gesetzlichen Maßregelungsverbotes (§ 612 a BGB)
am Beispiel streikbedingter Sonderzuwendungen, NZA 1993, 967,
970; BAG Urteil vom 15. Mai 1964 – 1 AZR 432/63 – AP Nr. 35 zu
§ 611 BGB Gratifikation). Es ist Inhalt der Arbeitsrechtsordnung,
daß Arbeitsentgelt grundsätzlich nur für geleistete Arbeit gezahlt
wird, soweit nicht gesetzliche Vorschriften eine Verpflichtung
zur Fortzahlung des Arbeitsentgeltes auch für Zeiten ohne
Arbeitsleistung vorsehen. Eine Regelung, die Ansprüche auf Arbeitsentgelt
daran knüpft, daß der Arbeitnehmer tatsächlich gearbeitet
hat, stellt daher keine nach § 612 a BGB verbotene Maßregelung
dar, und zwar auch dann nicht, wenn sie Ansprüche auf Arbeitsentgelt
auch für solche Zeiten versagt, zu denen der Arbeit-
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nehmer berechtigterweise und aufgrund eigener Entscheidung nicht
gearbeitet hat.
Danach verstoßen Regelungen, nach denen JahressonderZahlungen
auch durch Zeiten einer Arbeitsunfähigkeit – auch solche mit
Anspruch auf Entgeltfortzahlung – gemindert werden können, nicht
gegen § 612 a BGB.
Damit bestehen gegen die Entscheidung des Sechsten Senats
vom 15. Februar 1990, soweit sie solche Regelungen grundsätzlich
für zulässig erklärt, keine Bedenken. Der Senat geht von dieser
grundsätzlichen Aussage aus.
3. Allerdings hat der Sechste Senat in der genannten Entscheidung
auch ausgesprochen, daß Ausgestaltung und Handhabung einer
vertraglichen Kürzungsregelung für Fehlzeiten der richterlichen
Kontrolle entsprechend § 315 BGB dahin unterliegen, ob die gegenseitigen
Interessen der Vertragsparteien gewahrt sind, und ist
für den Regelfall davon ausgegangen, daß dies dann der Fall ist,
wenn die Kürzungsrate pro Fehltag 1/60 der versprochenen Jahressonderzahlung
nicht übersteigt.
Im vorliegenden Falle haben die Betriebspartner der Betriebsvereinbarung
geregelt, daß die Kürzungsrate pro Fehltag
1/30 der versprochenen Jahresprämie beträgt. Folglich streiten
die Parteien auch darum, ob überhaupt die Kürzungsregelungen in
einer Betriebsvereinbarung einer solchen vom Sechsten Senat geforderten
richterlichen Kontrolle unterliegen, und wenn ja, ob
eine Kürzungsrate von 1/30 noch dieser Kontrolle standhält.
a) Es entspricht der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts,
daß Betriebsvereinbarungen einer gerichtlichen Billigkeitskontrolle
unterliegen (vgl. zuletzt BAG Urteil vom 1. Dezember 1992
– 1 AZR 234/92 – AP Nr. 3 zu § 77 BetrVG 1972 TarifVorbehalt; Urteil
vom 25. April 1991 – 6 AZR 183/90 – AP Nr. 138 zu § 611 BGB
Gratifikation, m.w.N.). Maßstab für die gerichtliche Prüfung ist
dabei die Bindung der Betriebspartner an die Zielbestimmungen des
Betriebsverfassungsgesetzes, wie sie insbesondere in § 75 BetrVG
umschrieben sind. Die Billigkeitskontrolle bezieht sich auf die
sog. Innenschranken der Betriebsvereinbarung. Sie ist insoweit
eine Rechtskontrolle. Es geht darum, ob die von den Betriebspartnern
vereinbarte Regelung in sich der Billigkeit entspricht oder
ob einzelne Arbeitnehmer oder Gruppen von ihnen in unbilliger
Weise benachteiligt werden. Auch der Senat hat in ständiger
Rechtsprechung entschieden, daß die Betriebspartner bei der Vereinbarung
eines Sozialplanes an die Grundsätze in § 75 BetrVG gebunden
sind (vgl. zuletzt Urteil vom 20. April 1994 – 10 AZR
323/93 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen),
wobei den Betriebspartnern jedoch ein weiter RegelungsSpielraum
verbleibt.
Die Billigkeitskontrolle von Betriebsvereinbarungen hat im
Schrifttum verbreitete Kritik erfahren (vgl. die Nachweise bei
Matthes, MünchHdb ArbR, § 319, Fn 120). Diese Kritik ist jedenfalls
insoweit nicht gerechtfertigt, als sich die Billigkeitskontrolle
als Rechtskontrolle versteht, indem sie ausgehend
von § 75 BetrVG prüft, ob die betriebliche Regelung gesetzlichen
Grundentscheidungen widerspricht (vgl. die genannte Entscheidung
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vom 20. April 1994), den Gleichbehandlungsgrundsatz und das
Gleichbehandlungsgebot beachtet, den Betriebspartnern aber hinsichtlich
der Bewertung der Interessen des Betriebes und der Arbeitnehmer
einen weiten Beurteilungsspielraum einräumt.
b) Diesen Kontrollmaßstäben hält die Betriebsvereinbarung vom
29. Januar 1992 nicht stand.
aa) Die in der Betriebsvereinbarung vom 29. Januar 1992 getroffene
Regelung über die Jahresprämie entspricht weitgehend vielfach
üblichen Prämienregelungen. Nach den normierten Anspruchsvoraussetzungen
stellt sie sich einmal als zusätzliche Vergütung
für Betriebstreue dar, wie ihre Staffelung in der Höhe nach der
Dauer der Betriebszugehörigkeit ausweist. Sie ist, wie ihr Name
ausweist, auch zusätzliche Vergütung für im Bezugszeitraum geleistete
Arbeit. So hat die Beklagte auch darauf verwiesen, daß mit
der Jahresprämie der Beitrag der Arbeitnehmer zum Jahresergebnis
zusätzlich vergütet werden sollte.
Eine Prämienregelung, die auf das Maß der tatsächlichen Arbeitsleistung
abstellt und nach der sich Zeiten ohne tatsächliche
Arbeitsleistung prämienmindernd auswirken, ist grundsätzlich zulässig.
Das hat der Senat wiederholt entschieden.
Die in der Betriebsvereinbarung getroffene Prämienregelung
stellt zwar mittelbar auch auf die im Betrieb erbrachte Arbeitsleistung
ab, bemißt die schließlich zu zahlende Prämie jedoch
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nicht, auch nicht in pauschalierter Weise, an dieser. Der Arbeitnehmer,
der während des ganzen Bezugszeitraums dem Betrieb angehört
und keine anspruchsmindernden Fehlzeiten aufzuweisen hat,
erhält die volle Jahresprämie. Derjenige Arbeitnehmer, der ebenfalls
während des ganzen Bezugszeitraums dem Betrieb angehört
hat, in dieser Zeit aber 30 krankheitsbedingte Fehltage aufzuweisen
hat, erhält keine Prämie, obwohl er 10 1/2 Monate lang tatsächlich
gearbeitet und zum Betriebsergebnis mit dieser Arbeit
beigetragen hat. Auch derjenige Arbeitnehmer, der dem Betrieb
erst sechs Monate angehört und keine Fehltage aufzuweisen hat,
erhält die volle Jahresprämie, obwohl er 4 1/2 Monate weniger gearbeitet
hat als der Arbeitnehmer mit 30 Fehltagen.
Eine Differenzierung, die zu solchen Ergebnissen führt, kann
mit der Zwecksetzung der Prämie, auch für den Betrieb geleistete
Arbeit zusätzlich zu vergüten, sachlich nicht mehr gerechtfertigt
werden. Sie führt zu unbilligen und unter keinem rechtlichen
Gesichtspunkt mehr zu rechtfertigenden Nachteilen für die von
dieser Regelung betroffenen Arbeitnehmer mit Fehltagen und damit
zu einem Verstoß gegen § 75 BetrVG.
Mit der Begründung, der Kläger habe infolge seiner Fehltage
in geringerem Umfange zum Jahresergebnis beigetragen, kann daher
die Beklagte die Kürzung der Jahresprämie um 16/30 nicht rechtfertigen.
bb) Die Betriebsvereinbarung macht ebenso wie die vom Sechsten
Senat am 15. Februar 1990 entschiedene vertragliche Regelung den
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Anspruch auf die SonderZahlung u.a. auch von der Anzahl bestimmter
Fehltage des Arbeitnehmers im Bezugszeitraum abhängig. Die
nach dem durchschnittlichen Monatsverdienst und der Dauer der Betriebszugehörigkeit
zunächst berechnete Jahresprämie mindert sich
für jeden maßgebenden Fehltag des Arbeitnehmers – unentschuldigte
Fehltage und Krankheitstage – um 1/30.
Damit handelt es sich bei der Jahresprämie auch um eine sog.
Anwesenheitsprämie. Zweck einer solchen Prämie ist es, dem Arbeitnehmer
einen Anreiz zu bieten, die Zahl seiner – berechtigten
oder unberechtigten – Fehltage im Bezugszeitraum möglichst gering
zu halten, indem jeder Fehltag zum Verlust eines Teils der Sonderzahlung
führt. Von dieser Zwecksetzung her müssen jeder Anwesenheitsprämie
, soll sie ihren Zweck erreichen, Überlegungen darüber
zugrundeliegen, wie hoch der finanzielle Anreiz sein muß,
damit der Arbeitnehmer sich auch veranlaßt sieht, die Zahl seiner
Fehltage zu reduzieren, und welches Interesse der Arbeitgeber an
der Verminderung der Fehltage hat, das es rechtfertigt, einen bestimmten
Prämienaufwand zur Erreichung des Zweckes einzusetzen.
In gleicher Weise sind Überlegungen dahin erforderlich, inwieweit
der Anreiz, Fehltage zu vermeiden, den Arbeitnehmer bestimmen
kann, auch solche Fehltage zu vermeiden, die im eigenen wohlverstandenen
Interesse – wie bei einer objektiv bestehenden Arbeitsunfähigkeit
– “genommen” werden sollten.
Diese Überlegungen anzustellen, ist grundsätzlich Sache der
Betriebspartner. Sie sind in der Lage, angesichts der konkreten
16
betrieblichen Situation die widerstreitenden Interessen der Arbeitnehmer
und des Arbeitgebers und die für die Arbeitnehmer gerade
dieses Betriebes bestehenden Gefahren tatsächlich zu erkennen
und zu bewerten. Diese Interessenbewertung durch die Betriebspartner
kann durchaus dahin führen, daß die Kürzung der
Sonderzahlung für jeden Fehltag höher sein muß als 1/60 und daß
nur eine Kürzung von 1/30 der SonderZahlung dem Zweck der Anwesenheitsprämie
gerecht wird, ohne den arbeitsunfähig erkrankten
Arbeitnehmer über Gebühr zu schaden. Steht den Betriebspartnern
ein weiter Beurteilungsspielraum zu, dann kann von einer solchen
Regelung nicht gesagt werden, daß diese gegen § 75 BetrVG
verstößt.
Eine Anwesenheitsprämie, deren Zweck es ist, die Zahl der
Fehltage zu verringern, kann ihren Zweck aber nur erreichen, wenn
der Arbeitnehmer, der einen Fehltag “in Anspruch nehmen will”
weiß, daß die Inanspruchnahme dieses Fehltages eine Verringerung
seines Prämienanspruches zur Folge haben wird. Die Regelung einer
Anwesenheitsprämie muß daher an künftige Fehltage anknüpfen.
Die Betriebsvereinbarung über die Jahresprämie vom 29. Januar
1992 macht den Anspruch auf diese Jahresprämie nachträglich
von Fehltagen im Jahre 1991 abhängig. Diese Differenzierung in
der Höhe des Prämienanspruches nach diesen in der Vergangenheit
liegenden Fehltagen ist unzulässig.
Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz fordert
nicht nur, daß die vorgenommene Differenzierung vom Zweck der
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Leistung her sachlich gerechtfertigt ist – wovon bei einer Anwesenheitsprämie
auszugehen ist sondern daß die differenzierende
Regelung auch geeignet ist, den Zweck der Sonderleistung zu fördern
(Urteil des Senats vom 27. Juli 1994 – 10 AZR 538/93 – zur
Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen). Das aber ist
einer Regelung über Anwesenheitsprämien, die auf Fehlzeiten abstellt,
die vor der Schaffung der Regelung liegen, nicht möglich.
Die Betriebsvereinbarung vom 29. Januar 1992 ist daher auch
insoweit unwirksam, als sie die Höhe des Anspruchs auf die Jahresprämie
von der Anzahl der Fehltage im Jahre 1991 abhängig
macht.
Ist damit die Kürzungsregelung in der Betriebsvereinbarung
unwirksam, steht dem Kläger der volle Anspruch auf die Jahresprämie
zu. Die Vorinstanzen haben die Klage daher zu Unrecht abgewiesen.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.