Kläger nach einem neu eingeführten Entgeltsystem zu vergüten, Landesarbeitsgericht Düsseldorf; Urteil vom 15.04.2021 – 11 Sa 490/20

1. Dem Betriebsrat ist das Handeln seines Vorsitzenden auch ohne ordnungsgemäße Beschlussfassung über seine Bevollmächtigung zuzurechnen, wenn er dessen Auftreten kannte und der Geschäftsgegner auf den so gesetzten Rechtsschein vertraut hat sowie nach Treu und Glauben vertrauen durfte.

2. Liegen die Voraussetzungen einer Rechtsscheinvollmacht vor, so kann der Betriebsratsvorsitzende für den Betriebsrat auch eine Betriebsvereinbarung wirksam – mit der Folge normativer Bindung (§ 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG) – abschließen (aA: LAG Düsseldorf, Beschluss vom 27.04.2018 – 10 TaBV 64/17).

Tenor:
I. Die Berufung des Klägers gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 25.06.2019 – Az. 6 Ca 1138/18 – wird zurückgewiesen.

II. Die Kosten der Berufung werden dem Kläger auferlegt.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger nach einem neu eingeführten Entgeltsystem zu vergüten ist, welche Eingruppierung darin zutreffend ist und ob er weiterhin Anspruch auf die Zahlung von Zulagen hat.

Die Beklagte ist ein Unternehmen der Stahlindustrie und stellt Kurbelwellen her. Im Juni 2018 beschäftigte sie in ihrem Werk in S. 72 Mitarbeiter.

Der am 01.04.1975 geborene, verheiratete Kläger ist seit dem 28.04.1997 bei der Beklagten als Industriemechaniker tätig. Er ist Mitglied der Industriegewerkschaft Metall. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Tarifverträge der Stahlindustrie Anwendung.

Der Lohnrahmentarifvertrag zwischen dem Arbeitgeberverband Eisen- und Stahlindustrie e.V. und der Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepublik Deutschland, Bezirksleitungen Essen, Hagen, Köln und Münster vom 28.07.1966, Auszug Bl. 728 ff. d.A. (im Folgenden: LRTV 1966), wurde durch den Lohnrahmentarifvertrag vom 05.01.1973, Bl. 539 ff. d.A. (im Folgenden: LRTV), abgelöst. Nach der insoweit wortgleichen Regelung des § 2 LRTV 1966 bzw. des § 2 LRTV erfolgt die Einstufung der Arbeitnehmer nach dem Lohngruppensystem, geregelt in den §§ 3 – 7, oder nach der analytischen Arbeitsbewertung, geregelt im Anhang. Für die Einstufung in die Lohngruppen und Tarifzulagen sind in der Anlage zum LRTV Arbeitsbeispiele erstellt worden, wobei klargestellt wird, dass nicht die Tätigkeitsbezeichnung, sondern die am Arbeitsplatz anfallenden Anforderungen entscheidend sind, vgl. § 7 LRTV. Dort wird etwa der “Dreher” der Lohngruppe 7 und der “Großstückdreher” der Lohngruppe 8 zugeordnet. Die §§ 8 ff. sind für beide Einstufungssysteme anzuwenden. Gemäß § 12 des LRTV erfolgt die Einstufung durch eine betriebliche paritätische Kommission. § 15 LRTV (nahezu wortgleich 1966 und 1973) bestimmt, dass die Festlegung der Entlohnungsformen unter Mitbestimmung des Betriebsrats erfolgt. In § 17 LRTV ist geregelt, dass Prämienlohn vorliegt, wenn eine Prämie als variabler Leistungslohnanteil für eine über die Soll-Leistung erzielte Mehrleistung zusätzlich mindestens zum Basislohn gezahlt wird, und dass die Prämiengrundsätze mit dem Betriebsrat zu vereinbaren sind.

§ 1 des Anhangs zum LRTV (1966 und 1973) lautet:

“1. Die Einführung der tariflichen analytischen Arbeitsbewertung erfolgt durch Betriebsvereinbarung. 2. Für die Einführung einer anderen Arbeitsbewertungsmethode bedarf es eines Zusatztarifvertrages.”

Die Beklagte und der bei ihr gebildete Betriebsrat schlossen am 31.05.1967 eine Betriebsvereinbarung, Bl. 84 ff. d.A. Darin vereinbarten sie unter Ziffer 1., dass die Einstufung nach der analytischen Arbeitsbewertung erfolgen sollte. Unter Ziffer 6. trafen sie Regelungen über ein Prämienverfahren sowie über Lohnbestandteile des Prämienarbeiters (Prämien auf Zeitbasis und leistungsgebundene und produktionsabhängige Prämien), wobei für die Prämiengrundlagen auf “Richtlinien” verwiesen wurde, die als Anlage III Bestandteil der Vereinbarung sein sollten. Die bei der Beklagten geltenden “Allgemeinen Bezahlungsrichtlinien” wurden mehrfach geändert. Zuletzt fand die Version vom 01.01.1989 Anwendung, vgl. Bl. 255 ff. d.A. Darin wird u.a. auf den geltenden LRTV, nicht aber auf die Betriebsvereinbarung vom 31.05.1967 Bezug genommen, in Teil II finden sich unter Ziffer 11. nähere Regelungen zur Ausgestaltung des Prämienlohns.

Der Kläger war im analytischen Entgeltsystem als Universalkraft im Drehbereich in die Tarifgruppe 26 mit der Bewertungsstufe 0 eingruppiert und erhielt zuletzt, bis zum 31.01.2018, ein Bruttomonatsentgelt in Höhe von 3.894,24 €. Die Eingruppierung erfolgte anhand der Bewertungskriterien des Lohngruppenkataloges für die Stahlindustrie vom 01.05.1980, Bl. 97 ff. d.A.

Die Beklagte entschloss sich im Laufe des Jahres 2017 im Rahmen einer grundlegenden Restrukturierungsmaßnahme, ein neues Entlohnungssystem einzuführen. Mitglieder des Betriebsrats waren zu diesem Zeitpunkt Herr T. I. als Vorsitzender, Herr N. U. und Herr ×. ×.. Herr N. L. wurde erst später, am 10.10.2017, Betriebsratsmitglied.

Bereits am 22.11.2016 war von der Beklagten und dem bei ihr bestehenden Betriebsrat ein Eckpunktepapier, Bl. 294 d.A., verfasst worden, in dem u.a. allgemein von einer “Anpassung des Entgeltniveaus” die Rede ist. Im Frühjahr 2017 fand ein Austausch zwischen Vertretern der Beklagten auf der einen und Herrn I. und Herrn U. auf der anderen Seite statt, in dessen Verlauf Überlegungen zum neuen Entgeltsystem sowie zu einer Abschmelzung angestellt wurden. Diese beiden Betriebsratsmitglieder nahmen an Besprechungen am 10.03.2017 und am 23.03.2017 teil und waren in eine E-Mail-Korrespondenz eingebunden, vgl. Bl. 296 ff. d.A.

Unter dem 08.06.2017 schlossen die Betriebsparteien eine ablösende Betriebsvereinbarung “Neues Entlohnungssystem für das Werk S. – Grundsätze”, Bl. 105 ff. d.A. (im Folgenden: BV Entlohnung/Grundsätze), sowie die Rahmenbetriebsvereinbarung “Neues Entlohnungssystem für das Werk S. – Abschmelzung”, Bl. 110 ff. d.A. (im Folgenden: BV Entlohnung/Abschmelzung).

In der BV Entlohnung/Grundsätze vereinbarten die Betriebsparteien die Umstellung der Einstufung von der analytischen Arbeitsbewertung auf das Lohngruppensystem.

Auszugsweise heißt es dort:

“§ 2 Lohngruppen und Entgeltbestandteile Die neue Einordnung der Anforderung der Arbeitsplätze in die Lohngruppen gemäß Manteltarifvertrag erfolgt nach der summarischen Bewertung. Das Entgelt setzt sich aus folgenden Teilen zusammen: – Tariflohn gemäß Lohngruppe aus dem Lohnrahmentarifvertrag (LRTV) – Tarifzulagen nach § 5 LRTV – tarifliche Prämie in Höhe von 10 % (gemäß § 2 des Abkommens über Prämien- und Festlohn) Darüber hinaus ist beabsichtigt, als übertarifliche Bestandteile einzuführen: – eine Flexibilitäts-/Qualifikationsprämie – eine Leistungs-/Qualitätsprämie in der Größenordnung von 5 % des Tariflohns § 3 Lohngruppenkatalog Die Zuordnung der Arbeitsplätze zu den einzelnen Lohngruppen ist der Anlage 1 zu entnehmen. […] § 9 Schlussbestimmungen Mit der Unterzeichnung dieser Vereinbarung verlieren alle anderen, für das Werk S. geltenden Betriebsvereinbarungen, die Regelungen zur Entlohnung beinhalten, ihre Gültigkeit. […]”

Als Anlage 1 ist der BV Entlohnung/Grundsätze eine Übersicht beigefügt, in der bestimmte Arbeitsplätze bzw. Maschinen benannt und Lohngruppen zugeordnet werden.

In der am selben Tag abgeschlossenen BV Entlohnung/Abschmelzung vereinbarten die Betriebsparteien, dass die Differenz zwischen dem bisherigen Entgelt als “übertariflicher Entgeltbestandteil” ausgewiesen und diese durch mehrere Maßnahmen, u.a. eine “monatliche Abschmelzung” in Höhe von 200,00 € reduziert werden solle. Für die weiteren Einzelheiten wird auf Bl. 110 ff. d.A. verwiesen.

Mit Schreiben vom 14.06.2017, Bl. 113 d.A., erklärten die Tarifvertragsparteien, dass etwaige Abweichungen von den flächentariflichen Regelungen für die Stahlindustrie u.a. in Nordrhein-Westfalen durch die vorgenannten Betriebsvereinbarungen “genehmigt” würden.

Aufgrund der neuen Regelungen wurde der Kläger im Rahmen einer am 15. und 26.01.2018 durchgeführten Sitzung der Paritätischen Kommission in die Lohngruppe 6 des neuen Entgeltsystems eingruppiert. Mitglieder der Paritätischen Kommission waren sowohl der Betriebsratsvorsitzende I. als auch Herr L., der zwischenzeitlich ebenfalls in den Betriebsrat gewählt worden war. Die Wirksamkeit der Betriebsvereinbarung wurde in diesem Zusammenhang nicht in Frage gestellt.

Die Beklagte informierte den Kläger mit Schreiben vom 02.02.2018 über die Umstellung des Entgeltsystems innerhalb der flächentarifvertraglichen Regelungen und erläuterte dem Kläger sein Entgelt sowohl der Höhe nach als auch in seiner Zusammensetzung, vgl. Bl. 128 f. d.A. Das monatliche Entgelt des Klägers inklusive der “übertariflichen Zulage” beträgt nach dem neuen Entgeltsystem 3.694,24 € brutto.

Mit Schreiben vom 16.02.2018 widersprach der Kläger der Eingruppierung nach dem neuen Entgeltsystem sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach, Bl. 130 ff. d.A..

Mit seiner am 09.05.2018 beim Arbeitsgericht eingegangen Klage hat der Kläger die Feststellung begehrt, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm – wie bisher – ein Grundentgelt nach der Betrieblichen Basislohntabelle, Tarifgruppe 26/Stufe 0, zu zahlen. Mit seinen Hilfsanträgen zu 1. hat er die Eingruppierung nach dem Lohngruppensystem des LRTV feststellen lassen wollen, wobei er zunächst die Entgeltgruppe 9, hilfsweise die Entgeltgruppe 8 bzw. 7 begehrt hat. Des Weiteren hat er die Zahlung einzelner Zulagen und Vergütungsdifferenzen für die Monate Januar 2018 bis März 2018 verlangt. Mit seiner Klageerweiterung vom 20.09.2018 hat er die Zahlung der Vergütungsdifferenzen für die Zeit von April 2018 bis August 2018 geltend gemacht, mit seiner Klageerweiterung vom 10.12.2018 für die Monate September 2018 bis November 2018 und mit seiner Klageerweiterung vom 21.03.2019 für die Monate Dezember 2018 bis Februar 2019.

Der Kläger ist der Auffassung gewesen, dass die Umstellung auf das neue Entgeltsystem nicht rechtswirksam erfolgt sei. Die Beklagte sei nicht befugt gewesen, ohne tarifvertragliche Regelung eine Eingruppierung nach dem Lohngruppensystem vorzunehmen, da dies dem Tarifvertrag widerspreche. Die Betriebsparteien hätten ihre Regelungskompetenz gemäß § 77 Abs. 3 BetrVG überschritten. Da die Entgelthöhe nicht der Mitbestimmung unterliege, sei die Regelungssperre nicht durch § 87 Abs. 1 BetrVG überwunden. Eine nachträgliche Genehmigung durch die Tarifvertragsparteien könne die Mängel nicht nachträglich beseitigen.

Ein ordnungsgemäßer Beschluss über das Zustandekommen der Betriebsvereinbarung habe nicht vorgelegen. Die Betriebsvereinbarungen seien schon wegen der nicht erforderlichen Anzahl der Betriebsratsmitglieder unwirksam. Der Betriebsrat habe Anfang 2016 noch aus sieben Mitgliedern bestanden, da zu diesem Zeitpunkt noch über 100 Arbeitnehmer dort beschäftigt gewesen seien. Infolge der Entlassungen habe das Gremium im Juni 2016 lediglich noch aus drei Betriebsratsmitgliedern bestanden. Es hätten gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG Neuwahlen stattfinden müssen.

Die Betriebsvereinbarungen seien von einem einzelnen Betriebsratsmitglied unterzeichnet worden, als die beiden anderen Betriebsratsmitglieder nicht anwesend gewesen seien. Dieses Betriebsratsmitglied habe mittlerweile sein Amt niedergelegt. Die Betriebsvereinbarungen seien auf Seiten der Beklagten mit den Mitarbeitern Dr. X. und S. und auf Seiten des Betriebsrats mit Herrn I. und einem weiteren Betriebsratsmitglied verhandelt worden. Nur unter diesen Personen seien die E-Mails ausgetauscht und Änderungen beschlossen worden. Andere Betriebsratsmitglieder seien nicht informiert worden. Der Betriebsrat sei in keiner dieser E-Mails als Gremium angeschrieben worden. Zwischen den einzelnen E-Mails hätten keine Betriebsratssitzungen stattgefunden. Dies werde schon aus der zeitlichen Abfolge deutlich. Somit sei für die Beklagte offensichtlich gewesen, dass es an einer ordnungsgemäßen Beschlussfassung mangelte. Weder seien die Betriebsratsmitglieder U. und ×. durch Herrn I. ordnungsgemäß geladen worden, noch liege ein förmlicher Beschluss vor. Auch eine Übermittlung der Tagesordnung sei nicht erfolgt. Die Betriebsvereinbarungen verstießen gegen das Günstigkeitsprinzip sowie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes.

Der Kläger hat gemeint, die Zahlung der übrigen Zulagen – mit Ausnahme des Leistungslohns 1 – sei von der Umstellung des Entgeltsystems nicht tangiert. Es handele sich um Prämien nach § 17 LRTV, die unabhängig vom System der analytischen Arbeitsbewertung gezahlt würden, so dass die Umstellung auf das Lohngruppensystem an diesen nichts ändere. Der Leistungslohn 2, die Diff. Variable/Anwese sowie die Sozialzulage stellten feste, verstetigte Vergütungsbestandteile dar, die in Form von Gesamtzusagen vertraglich zugesagt seien und nicht durch Betriebsvereinbarung gekürzt werden könnten. Schließlich sei die Zahlung der seit 50 bzw. 20 Jahren festgeschriebenen Zulagen auch zunächst unverändert fortgesetzt worden, nachdem die Betriebsvereinbarungen (vermeintlich) in Kraft getreten seien. Da es sich um individualvertragliche Ansprüche handele, gelte das Günstigkeitsprinzip.

Darüber hinaus hielten die Betriebsvereinbarungen der allgemeinen gerichtlichen Billigkeitskontrolle nach § 75 Abs. 1 BetrVG nicht stand. Da die Abschmelzung um 200,00 € nicht für kaufmännische und technische Angestellte vorgesehen sei, verstießen sie gegen den Gleichheitsgrundsatz.

Wenn überhaupt eine neue Eingruppierung in Betracht komme, hätte er in die Lohngruppe 9 eingruppiert werden müssen, da er Arbeiten höchstwertiger Art ausführe. Hinsichtlich der weiteren Ausführungen des Klägers zur richtigen Eingruppierung nach der Summarik wird auf dessen Ausführungen auf Seite 36 ff. des Schriftsatzes vom 20.09.2018 sowie auf Seite 5 ff. des Schriftsatzes vom 21.03.2019 ergänzend Bezug genommen.

Der Kläger hat beantragt,

1a. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm eine Vergütung zu zahlen, die sich nach der Betrieblichen Basislohntabelle der Beklagten vom 01.04.2017 Tarifgruppe 26/Stufe 0 richtet,hilfsweise zu Ziffer 1a,1b.festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm in Zukunft eine Vergütung zu zahlen, deren Grundentgelt sich nach der Entgeltgruppe neun des Lohnrahmentarifvertrages für die Eisen- und Stahlindustrie in Nordrhein-Westfalen vom 05. Januar 1973 errechnet,1c.festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm eine Vergütung zu zahlen, deren Grundentgelt sich nach der Entgeltgruppe acht des Lohnrahmentarifvertrages für die Eisen- und Stahlindustrie in Nordrhein-Westfalen vom 05. Januar 1973 errechnet,1d.festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm eine Vergütung zu zahlen, deren Grundentgelt sich nach der Entgeltgruppe sieben des Lohnrahmentarifvertrages für die Eisen- und Stahlindustrie in Nordrhein-Westfalen vom 05. Januar 1973 errechnet,2.festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm die Sozialzulage in Höhe von 6,08 € brutto monatlich zu zahlen,3.festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm in Zukunft den Erw. Leistungslohn 2 in Höhe von 604,69 € brutto monatlich zu zahlen,4.festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm die Vergütung, die sie bisher in der Lohnabrechnung unter der Position “Diff. Variable/Anwese” abgerechnet hat, zu zahlen,5.die Beklagte zu verurteilen, an ihn für den Monat Januar 2018 noch Vergütung in Höhe von 1.591,65 € brutto zu zahlen,6.die Beklagte zu verurteilen, an ihn für den Monat Februar 2018 noch Vergütung in Höhe von 1.591,65 € brutto zu zahlen,7.die Beklagte zu verurteilen, an ihn für den Monat März 2018 noch Vergütung in Höhe von 1.591,65 € brutto zu zahlen,8.die Beklagte zu verurteilen, an ihn für den Monat April 2018 noch Vergütung in Höhe von 1.591,65 € brutto zu zahlen,9.die Beklagte zu verurteilen, an ihn für den Monat Mai 2018 noch Vergütung in Höhe von 1.634,97 € brutto zu zahlen,10.die Beklagte zu verurteilen, an ihn für den Monat Juni 2018 noch Vergütung in Höhe von 1.634,97 € brutto zu zahlen,11.die Beklagte zu verurteilen, an ihn für den Monat Juli 2018 noch Vergütung in Höhe von 1.634,97 € brutto zu zahlen,12.die Beklagte zu verurteilen, an ihn für den Monat August 2018 noch Vergütung in Höhe von 1.634,97 € brutto zu zahlen,13.die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine Verzugspauschale in Höhe von 320,00 € zu zahlen,14.die Beklagte zu verurteilen, an ihn für den Monat September 2018 noch Vergütung in Höhe von 1.634,97 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen,15.die Beklagte zu verurteilen, an ihn für den Monat Oktober 2018 noch Vergütung in Höhe von 1.634,97 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen,16.die Beklagte zu verurteilen, an ihn für den Monat November 2018 noch Vergütung in Höhe von 1.634,97 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen,17.die Beklagte zu verurteilen, an ihn für den Monat Dezember 2018 noch Vergütung in Höhe von 1.634,97 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen,18.die Beklagte zu verurteilen, an ihn für den Monat Januar 2019 noch Vergütung in Höhe von 1.634,97 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen,19.die Beklagte zu verurteilen, an ihn für den Monat Februar 2019 noch Vergütung in Höhe von 1.634,97 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, die Umstellung der Entgeltsystematik sei rechtswirksam erfolgt. Die Betriebsparteien hätten das neue Entgeltsystem sowie die entsprechenden Abschmelzungsmodalitäten in zulässiger Art und Weise vereinbart.

Für die Einführung der summarischen Arbeitsbewertungsmethode habe es keines Zusatztarifvertrages bedurft. Die summarische Arbeitsbewertung werde bereits durch § 2 LRTV erlaubt. Da die Regelung der Entlohnungsgrundsätze gemäß § 15 LRTV ausdrücklich den Betriebsparteien übertragen sei, scheide ein Verstoß gegen § 77 Abs. 3 BetrVG oder § 87 Abs. 1 BetrVG aus.

Die Beklagte hat die geltend gemachten formellen Mängel des Betriebsratsbeschlusses bestritten. Auch wenn der Betriebsrat durch den Personalabbau aus zu wenigen Mitgliedern bestanden habe, sei er handlungsbefugt geblieben. Zu keinem Zeitpunkt sei die Zusammensetzung bzw. die Größe des Betriebsrats thematisiert worden. Die Beschlüsse des Betriebsrats seien mit der Mehrheit der Stimmen der anwesenden Mitglieder gefasst worden. Es sei Sache des amtierenden Betriebsrats, Neuwahlen zu initiieren. Zu keinem Zeitpunkt sei erkennbar gewesen, dass der Betriebsratsvorsitzende I. (angeblich) nicht zur Unterschrift der streitgegenständlichen Betriebsvereinbarungen bevollmächtigt gewesen sei. Dem Abschluss der Betriebsvereinbarungen seien langwierige Verhandlungen zwischen den Betriebsparteien vorangegangen. Bis zur Unterzeichnung der streitgegenständlichen Betriebsvereinbarungen habe sie mit dem Betriebsrat als Gremium korrespondiert. Bereits im Rahmen der 2016 durchgeführten Restrukturierung sei die Veränderung des Entgeltsystems thematisiert worden. Dies ergebe sich bereits aus dem Eckpunktepapier, aber auch aus dem zur Akte gereichten E-Mail-Verkehr. Mit einer E-Mail vom 23.01.2017 sei der Entwurf des Lohngruppenkatalogs nach dem neuen Entgeltsystem kommuniziert worden. Mit den E-Mails vom 16.03.2017 und vom 29.03.2017 sei der Betriebsrat in Kenntnis gesetzt worden. Auch das Betriebsratsmitglied L. sei entsprechend involviert gewesen. Auch nach Abschluss der Betriebsvereinbarungen seien solche Zweifel nicht geäußert worden, so dass ein Berufen auf die Unwirksamkeit des Beschlusses nunmehr rechtsmissbräuchlich sei.

Die Beklagte hat gemeint, der Kläger sei auch zu Recht in die Lohngruppe 6 eingruppiert worden. Ergänzend wird insoweit auf ihre Ausführungen auf Seite 12 ff. des Schriftsatzes vom 29.01.2019 Bezug genommen.

Nach Inkrafttreten der Betriebsvereinbarungen vom 08.06.2017 sei sie auch nicht mehr verpflichtet, die bisher gewährten Zulagen zu zahlen. Denn diese hätten, wie von § 17 LRTV vorgesehen, auf einer Betriebsvereinbarung, nämlich der vom 31.05.1967, sowie den in Bezug genommenen Bezahlungsrichtlinien Teil II, beruht. Für die weiteren Ausführungen der Beklagten zu den einzelnen Lohnbestandteilen wird auf ihre Ausführungen auf den Seiten 2-8 im Schriftsatz vom 29.01.2019 Bezug genommen.

Durch die Umstellung des Entgeltsystems und die sich daraus ergebende “übertarifliche Vergütung” sei sie zur Anrechnung der Tariflohnerhöhung sowie zur faktischen Abschmelzung von 200,00 € berechtigt gewesen.

Das Arbeitsgericht hat die Sache nur mit Blick auf den Antrag zu 1a. für entscheidungsreif gehalten und über diesen durch Teilurteil entschieden. Es hat den Antrag abgewiesen und dies damit begründet, dass der Wechsel von der analytischen Arbeitsbewertung zum summarischen Verfahren der Lohnfindung wirksam durch den Abschluss die BV Entlohnung/Grundsätze erfolgt sei. Die Betriebsvereinbarung sei wirksam zustande gekommen. Zum einen handele es sich bei den Rügen des Klägers um Behauptungen ins Blaue hinein, zum anderen habe die Beklagte von etwaigen Mängeln keine Kenntnis gehabt oder haben müssen. Die BV Entlohnung/Grundsätze verstoße nicht gegen höherrangiges Recht. § 1 Ziffer 2 des Anhangs des LRTV sei nicht dahin zu verstehen, dass die Einführung des Lohngruppensystems eines Zusatztarifvertrages bedürfe. Denn hierzu treffe der Anhang gar keine Regelung. Vielmehr finde das Lohngruppensystem, welches in §§ 3-7 LRTV näher geregelt sei, nach dem Ende der Betriebsvereinbarung zur Einführung der analytischen Arbeitsbewertung automatisch wieder Anwendung. Selbst wenn § 3 der BV Entlohnung/Grundsätze eine eigenständige Regelung zur Entlohnung enthalte und daher gegen § 77 Abs. 3 BetrVG oder § 87 Abs. 1 BetrVG verstoße, führe dies nicht zur Gesamtnichtigkeit. Weiter hat das Arbeitsgericht ausgeführt, auch die Abschmelzung der “übertariflichen Entgeltbestandteile” durch die BV Entlohnung/Abschmelzung sei rechtmäßig erfolgt.

Gegen das ihm am 15.07.2019 zugestellte Urteil hat der Kläger am 24.07.2019 Berufung eingelegt und diese – nach Verlängerung der Frist bis zum 10.10.2019 – am 07.10.2019 begründet.

Er meint, es sei schon fraglich, ob das Arbeitsgericht durch Teilurteil habe entscheiden dürfen. Denn selbst wenn die Einführung des neuen Entgeltsystems wirksam wäre, kämen Ansprüche auf zusätzliche Vergütungsbestandteile in Betracht, die sich auf die Höhe der Vergütung und auf die Frage eines wirksamen Abschmelzens auswirkten. Eine Beurteilung der angeblichen Rechtmäßigkeit der Betriebsvereinbarungen könne daher erst erfolgen, wenn über das Bestehen dieser Ansprüche entschieden sei.

Die Annahme des Arbeitsgerichts, dass nach dem Ende einer Betriebsvereinbarung über die Einführung der analytischen Arbeitsbewertung automatisch wieder das summarische Verfahren Anwendung finde, sei falsch. § 1 Ziffer 2 des Anhangs des LRTV sei dahin auszulegen, dass – wenn zuvor ein analytisches Bewertungssystem eingeführt worden sei – der Wechsel zu einem anderen System, also auch die Rückkehr zum Lohngruppensystem, einen Zusatztarifvertrag erfordere.

Überdies sei die Betriebsvereinbarung entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts nicht wirksam zustande gekommen. Seine Behauptungen zu Fehlern in der Beschlussfassung seien nicht ins Blaue hinein erfolgt, sondern deswegen, weil der neu gewählte Betriebsrat trotz intensiver Suche keine entsprechenden Unterlagen habe finden können. Inzwischen habe er erfahren, dass eines der drei Betriebsratsmitglieder, Herr ×., in den Tagen vor der Unterzeichnung der Betriebsvereinbarung nicht persönlich im Betrieb anwesend gewesen sei. Eine Abstimmung habe es ebenso wenig gegeben wie eine vorherige Ladung unter Einhaltung der Ladungsfristen und Übersendung einer Tagesordnung. Unrichtig sei, wenn die Beklagte behaupte, Beschlüsse seien üblicherweise telefonisch gefasst worden. Im Übrigen wäre eine solche Beschlussfassung auch rechtsunwirksam gewesen. Darauf, ob der Arbeitgeber Fehler habe erkennen können, komme es nicht an. Die Rechtsprechung zur Beteiligung des Betriebsrats nach §§ 99102103 BetrVG sei nicht anwendbar. Auch die Grundsätze über die Anscheinsvollmacht fänden keine Anwendung, jedenfalls sei ein solcher Anschein nicht entstanden. Herr L. sei zum maßgeblichen Zeitpunkt noch kein Betriebsratsmitglied gewesen, so dass es weder auf dessen Information, noch auf dessen Verhalten nach Abschluss der Betriebsvereinbarungen ankomme, zumal er gar nichts von der Unwirksamkeit gewusst habe.

Das Arbeitsgericht habe übersehen, dass die BV Entlohnung/Grundsätze, insbesondere deren §§ 2 und 3, sowie die BV Entlohnung/Abschmelzung gegen § 77 Abs. 3 BetrVG oder § 87 BetrVG verstießen, da hierdurch eine Bestimmung der Entgelthöhe erfolgt sei, sowie gegen § 2 KSchG, da das Gleichgewicht von Leistung und Gegenleistung durch die Absenkung des Entgelts erheblich gestört werde.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 25.06.2019 abzuändern und festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm über den 31.01.2018 hinaus ein Grundentgelt zu zahlen, die sich nach der Analytischen Arbeitsbewertung entsprechend der Betrieblichen Basislohntabelle gemäß der Betriebsvereinbarung vom 31.05.1967 richtet (Antrag zu 1a.).

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und wiederholt im Wesentlichen ihren erstinstanzlichen Vortrag. Die Entscheidung durch Teilurteil sei zulässig gewesen, da mit der Feststellung des wirksamen Wechsels des Entgeltsystems auch feststehe, dass sämtliche Entgeltbestandteile nunmehr dem neuen Entlohnungssystem folgten.

Als zusätzlichen Beleg dafür, dass nach den Regelungen des LRTV für eine Rückkehr zum Lohngruppensystem kein Zusatztarifvertrag erforderlich sei und dass die Ablösung durch die geschlossenen Betriebsvereinbarungen wirksam seien, verweist sie auf eine gemeinsame schriftliche Erklärung der Tarifvertragsparteien vom 31.03.2020 in der diese mitteilen, § 1 Ziffer 2 des Anhangs zum LRTV sei nicht dahin zu verstehen, dass beim Wechsel von der Analytik zur Summarik ein Zusatztarifvertrag erforderlich sei. Ihre Erklärung vom 14.06.2017, so die Tarifvertragsparteien, sei im Übrigen dahin zu verstehen, dass sie die Betriebsvereinbarungen vom 08.06.2017 vorsorglich “genehmigt” und deren Rechtsgültigkeit gewollt hätten. Der LRTV stehe der Gültigkeit der Betriebsvereinbarungen nicht entgegen. Für die weiteren Einzelheiten des Schreibens der Tarifvertragsparteien vom 31.03.2020 wird auf Bl. 628 f. d.A. Bezug genommen.

Die Beklagte trägt weiter vor, die Betriebsvereinbarungen seien auch formell wirksam zustande gekommen. Dass der Betriebsrat nach dem Ausscheiden von Mitgliedern noch nicht neu gewählt worden sei, habe gemäß § 22 BetrVG nichts an deren Geschäftsführungsbefugnis geändert.

Wie sich aus dem Eckpunktepapier, den Beratungen und dem E-Mail-Verkehr mit Herrn I. sowie Herrn L. ergebe, habe aus ihrer Sicht keinerlei Anhaltspunkt für einen etwaigen Mangel der Vertretungsbefugnis bestanden. Die Behauptung der Klägerseite, Betriebsratsmitglieder seien nicht persönlich anwesend gewesen, sei unsubstantiiert. Im Übrigen sei es üblich gewesen, dass eine Abstimmung telefonisch erfolgt sei, auch z.B. im Fall von Krankheit oder Urlaub von Herrn ×.. Jedenfalls sei von einer Anscheinsvollmacht des Herrn I. auszugehen. Der Betriebsrat habe überdies das Handeln des Herrn I. verhindern können, da insbesondere Herr L. über die Vorgänge informiert gewesen sei. Weder Herr ×. noch Herr L. sei vor oder nach Abschluss der Betriebsvereinbarung eingeschritten oder habe auf das Fehlen eines Beschlusses hingewiesen.

Die BV Entlohnung/Grundsätze verstoße, wie sich bereits aus § 15 LRTV ergebe, weder gegen § 77 Abs. 3 noch gegen § 87 Abs. 1 BetrVG. Es sei gerade nicht eine Regelung über die Entgelthöhe getroffen worden, vielmehr sei die Absenkung des Entgelts lediglich eine Folge der Umstellung der Systematik. Daraus resultiere ein Recht zur Anrechnung nunmehr “übertariflicher Entgeltbestandteile”, von dem sie – gemeinsam mit dem Betriebsrat – durch Vereinbarung der BV Entlohnung/Abschmelzung Gebrauch gemacht habe.

Die Kammer hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen T. I., N. U. und ×. ×.. Für das Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der Sitzung vom 27.01.2021 verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze, die weiteren Sitzungsniederschriften sowie den übrigen vorgetragenen Akteninhalt in beiden Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist gemäß § 64 Abs. 1, 2 b) ArbGG an sich statthaft sowie form– und fristgerecht eingelegt und begründet worden, § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG.

II. Die Berufung ist unbegründet.

1. Das Arbeitsgericht hat kein unzulässiges Teilurteil erlassen.

Der Erlass eines Teilurteils ist nach § 301 Abs. 1 ZPO nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig.

a) Ist von mehreren in einer Klage geltend gemachten Ansprüchen nur der eine zur Endentscheidung reif, so hat das Gericht sie durch Endurteil als Teilurteil zu erlassen (§ 301 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die Entscheidungsreife setzt voraus, dass das Teilurteil unabhängig vom Schlussurteil erlassen werden kann bzw. zwischen dem durch ein Teilurteil entschiedenen Teil einerseits und dem noch nicht entschiedenen Teil andererseits kein Widerspruch entstehen kann (vgl. BAG, Urteil vom 17. April 2013 – 4 AZR 361/11 – Juris; BGH, Urteil vom 11.05.2011 – VIII ZR 42/10 – Juris; BAG, Urteil vom 23.03.2005 – 4 AZR 243/04 – Juris; Zöller/Vollkommer, ZPO, 33. Auflage, 2020, § 301 Rn. 7 m.w.N.). Widersprüchlichkeit meint dabei keinen Rechtskraftkonflikt, der bei Teilentscheidungen in aller Regel nicht auftritt, sondern umfasst Fälle der Präjudizialität (vgl. BAG, Urteil vom 17. April 2013 – 4 AZR 361/11 – Juris; BAG, Urteil vom 23.03.2005 – 4 AZR 243/04 – Juris; BGH, Urteil vom 11.05.2011 – VIII ZR 42/10 – Juris). Insoweit kommt es nicht nur auf das entscheidende Gericht selbst an, sondern darüber hinaus auf eine auch nur mögliche abweichende Beurteilung durch das Rechtsmittelgericht (vgl. BGH, Urteil vom 27.10.1999 – VIII ZR 184/98 – Juris; LAG Hessen, Urteil vom 07.04.2017 – 3 Sa 1129/16 – Juris). Maßgeblich ist, ob in dem Teilurteil eine Frage entschieden wird, die sich dem Gericht im weiteren Verfahren über andere Ansprüche oder Anspruchsteile noch einmal stellt oder stellen kann (vgl. BGH, Urteil vom 16.06.2010 – VIII ZR 62/09 – Juris; LAG Köln, Urteil vom 15.12.2014 – 4 Sa 574/14 – Juris; Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 8. Auflage, 2018, § 68 ArbGG Rn. 12).

Das Gebot der Widerspruchsfreiheit zwischen Teil- und Schlussurteil betrifft allerdings nur die Begründungselemente und nicht den Tenor selbst. Denn an den Tenor ist das Gericht nach Maßgabe des § 318 ZPO ohnehin gebunden, er ist im weiteren Rechtsstreit verbindlich zugrunde zu legen (vgl. BAG, Urteil vom 17.04.2013 – 4 AZR 361/11 – Juris).

b) Unter Zugrundelegung dieser Kriterien erweist sich das Teilurteil des Arbeitsgerichts bei zutreffender Auslegung des Antrags, über den entschieden worden ist, als zulässig.

Zwar entsprach der Wortlaut des vom Kläger in der ersten Instanz gestellten und beschiedenen Antrags zu 1a. einer “normalen” Eingruppierungsklage, bei der die Frage des anzuwendenden Entgeltsystems (analytische Arbeitsbewertung oder Lohngruppensystem) scheinbar lediglich eine Vorfrage darstellte. Nach ihrem Vortrag ging es den Parteien aber ersichtlich nicht um die richtige Entgeltgruppe innerhalb des Lohnsystems (gemäß analytischer Arbeitsbewertung). Vielmehr wollte der Kläger mit dem Antrag zu 1a. gerade “nur” die (vermeintliche) Vorfrage klären, ob noch das bisherige Entgeltsystem gilt oder ob es durch die BV Entlohnung/Grundsätze abgelöst, ob also ein Wechsel von der Analytik zur Summarik wirksam vollzogen worden ist. Der Antrag zu 1a. ist dementsprechend – trotz des etwas irreführenden Wortlauts – zutreffend dahin auszulegen, dass der Kläger die Verpflichtung der Beklagten festgestellt wissen will, ihm weiterhin eine Grundvergütung zu zahlen, die sich nach der Analytischen Arbeitsbewertung entsprechend der Betrieblichen Basislohntabelle gemäß der Betriebsvereinbarung vom 31.05.1967 richtet. Eben diese Frage ist durch das Arbeitsgericht auch beantwortet worden.

Der Kläger hat seinen Klageantrag in der mündlichen Verhandlung vom 27.01.2021 entsprechend angepasst. Da der Klagegrund der gleiche bleibt und lediglich die Bezeichnung der Entgeltgruppe (klarstellend) entfällt, handelt es sich allenfalls mit einer Klagebeschränkung im Sinne von § 264 Nr. 2 ZPO, nicht um eine Klageänderung, der die Beklagte jedoch vorsorglich auch zugestimmt hat.

2. Der Feststellungsantrag zu 1a. ist als Zwischenfeststellungsklage nach § 256 Abs. 2 ZPO zulässig.

Nach § 256 Abs. 2 ZPO kann der Kläger zugleich mit der Hauptklage auf Feststellung eines die Entscheidung bedingenden, vorgreiflichen Rechtsverhältnisses klagen. Damit wird ein Element aus der Gesamtentscheidung verselbständigt und mit eigener Rechtskraft versehen. Grund hierfür ist die Eignung dieses Elements, über den konkreten Einzelfall hinaus, der mit der Hauptklage entschieden wird, Rechtssicherheit und Rechtsklarheit für mögliche Folgestreitigkeiten herzustellen. Eine Zwischenfeststellungsklage bedingt daher, dass die Frage nach dem Bestehen des entsprechenden Rechtsverhältnisses notwendig auch bei der Entscheidung über den Hauptantrag beantwortet werden muss, aber darüber hinaus auch für andere denkbare Folgestreitigkeiten Bedeutung haben kann. Diese Vorgreiflichkeit ersetzt die ansonsten notwendige Voraussetzung eines Feststellungsinteresses (vgl. BAG, Urteil vom 17.10.2007 – 4 AZR 1005/06 – NZA 2008, 713). Die Zwischenfeststellungsklage ist auch dann zulässig, wenn mit der Hauptklage mehrere selbstständige Ansprüche aus demselben Rechtsverhältnis verfolgt werden, mögen sie auch in ihrer Gesamtheit die Ansprüche erschöpfen, die sich aus ihm überhaupt ergeben können, weil in allen Fällen Teilurteile ergehen könnten und deshalb die Entscheidung über das zugrunde liegende Rechtsverhältnis Bedeutung für nachfolgende Teilurteile und für das Schlussurteil haben könnte (vgl. BGH, Urteil vom 23.11.2017 – VII ZR 34/15 – NJW 2018, 549; Zöller/Greger, ZPO, 33. Auflage, 2020, § 256 Rn. 26).

Die begehrte Feststellung, dass sein Arbeitsverhältnis weiterhin dem bisherigen Entgeltsystem der analytischen Arbeitsbewertung unterfällt, ist vorgreiflich für seine weiteren, bei dem Arbeitsgericht Wuppertal anhängigen Sachanträge, insbesondere für die Anträge auf Eingruppierung. Auch soweit der Kläger seine Zahlungsanträge mit Ansprüchen auf Zulagen begründet, besteht insoweit eine Vorgreiflichkeit, als deren “Ablösung” durch Betriebsvereinbarung jedenfalls dann ausscheidet, wenn der mit der BV Entlohnung/Grundsätze bezweckte Wechsel des Entlohnungssystems nicht wirksam vorgenommen wurde.

3. Der Feststellungsantrag ist unbegründet.

Die Beklagte ist nicht verpflichtet, an den Kläger über den 31.01.2018 hinaus ein Grundentgelt zu zahlen, das sich nach der Analytischen Arbeitsbewertung entsprechend der Betrieblichen Basislohntabelle gemäß der Betriebsvereinbarung vom 31.05.1967 richtet.

Das Arbeitsgericht hat zutreffend festgestellt, dass die Betriebsvereinbarung vom 31.05.1967 wirksam durch die BV Entlohnung/Grundsätze vom 08.06.2017 abgelöst worden ist.

a) Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Betriebsvereinbarung mit der Unterzeichnung durch den damaligen Betriebsratsvorsitzenden T. I. formell wirksam zustande gekommen.

aa) Der Betriebsrat war am Abschluss einer Betriebsvereinbarung zunächst nicht deswegen gehindert, weil das Gremium zu dem Zeitpunkt der Unterzeichnung nur noch aus drei Mitgliedern bestand. Zwar ist richtig, dass die Anzahl der Betriebsratsmitglieder damit nicht (mehr) den Vorgaben des § 9 Abs. 1 BetrVG entsprach und dass gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG ein Betriebsrat neu zu wählen war. Bis zu dieser Wahl führte der Betriebsrat die Geschäfte jedoch gemäß § 22 BetrVG weiter.

bb) Der damalige Betriebsratsvorsitzende Herr I. hat mit Wirkung für sein Gremium der Betriebsvereinbarung zugestimmt.

Zwar ist Herr I. durch den im Betrieb bestehenden Betriebsrat nicht in der Weise bevollmächtigt worden, dass das Gremium einen entsprechenden ordnungsgemäßen Zustimmungsbeschluss gefasst hätte. Sein Handeln war dem Betriebsrat aber nach den Grundsätzen über eine Anscheinsvollmacht zuzurechnen.

Im Einzelnen:

(1) Zutreffend hat das Arbeitsgericht in seinen Urteilsgründen dargestellt, dass der Betriebsratsvorsitzende den Betriebsrat gemäß § 26 Abs. 2 Satz 1 BetrVG im Rahmen der von ihm gefassten Beschlüsse vertritt. Nach der Konzeption des Betriebsverfassungsgesetzes handelt der Betriebsrat als Kollegialorgan (vgl. BAG, Beschluss vom 19.01.2005 – 7 ABR 24/04 – Juris; BAG, Beschluss vom 07.10.1980 – 6 ABR 56/79 – Juris), der Betriebsratsvorsitzende ist also nicht Vertreter seines Gremiums im Willen, sondern Vertreter in der Erklärung. Eine nicht von einem Betriebsratsbeschluss umfasste Erklärung seines Vorsitzenden ist unwirksam und entfaltet grundsätzlich – abgesehen von der Möglichkeit einer möglichen Rechtsscheinhaftung (siehe dazu nachfolgend unter (4)) – keine Rechtswirkungen (vgl. BAG, Beschluss vom 08.12.2014 – 1 ABR 19/13 – AP Nr. 108 zu § 77 BetrVG 1972). Maßgeblich hierfür ist, ob ein Beschluss des Betriebsrats ordnungsgemäß zustande gekommen ist, ob also ein Betriebsrat beschlussfähig im Sinne des § 33 BetrVG ist, sich auf einer Betriebsratssitzung aufgrund einer mit den Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes in Einklang stehenden Ladung mit dem jeweiligen Sachverhalt befasst und durch Abstimmung eine einheitliche Willensbildung herbeigeführt hat (vgl. BAG, Beschluss vom 15.04.2014 – 1 ABR 2/13 – AP Nr. 9 z § 29 BetrVG 1972). Dazu bedarf es zwar nicht der Form eines ausdrücklichen Beschlusses, auch ohne Ladung kann eine Sitzung mit Einverständnis aller Betriebsratsmitglieder stattfinden und die Tagesordnung durch das beschlussfähige Gremium mit Zustimmung aller Anwesenden ergänzt werden (vgl. nur Fitting, BetrVG, 30. Auflage, 2020, § 29 Rn. 45 ff. m.w.N.). Nach dem klaren Wortlaut des § 33 Abs. 1 Satz 1 BetrVG (“anwesende Mitglieder”) ist aber in jedem Fall erforderlich, dass die an der Beschlussfassung beteiligten Mitglieder persönlich anwesend sind. Eine Abstimmung im Umlaufverfahren, telefonisch, per E-Mail oder in einer Videokonferenz ist bzw. war nicht zulässig (vgl. Richardi/Thüsing, BetrVG, 16. Auflage, 2018, § 33 Rn. 2 f.; Fitting, BetrVG, 30. Auflage, 2020, § 33 Rn. 20 m.w.N.).

(2) In Ansehung dieser Grundsätze mangelt es an einer ordnungsgemäßen Bevollmächtigung des Vorsitzenden I. zur Zustimmung zur Betriebsvereinbarung BV Entlohnung/Grundsätze. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist die Kammer überzeugt, dass der Betriebsrat keinen den Anforderungen des § 33 BetrVG entsprechenden Beschluss gefasst hat.

Die Kammer hat alle drei damaligen Betriebsratsmitglieder vernommen. Keiner der Zeugen hat näher beschreiben können oder auch nur konkret behauptet, dass vor dem 08.06.2017 (Unterzeichnungsdatum) zu einer Sitzung unter Mitteilung des entsprechenden Tagesordnungspunktes (vgl. § 29 Abs. 2 BetrVG) geladen und dort mit der Mehrheit der Stimmen der anwesenden Mitglieder ein Beschluss über die Zustimmung zur BV Entlohnung/Grundsätze gefasst worden sei.

(a) Zwar hat der Zeuge I. nach Maßgabe des diesbezüglichen Protokolls zunächst ausgesagt, es sei ein wirksamer Betriebsratsbeschluss gefasst worden. Hierbei handelt es sich aber, wie sich im weiteren Verlauf seiner Aussage herausstellte, lediglich um eine Meinungskundgabe. Denn der Zeuge hat sodann konkreter dargelegt, dass vor der Unterzeichnung der Betriebsvereinbarung ein Einvernehmen zwischen den drei Betriebsratsmitgliedern nur im Wege einer telefonischen Besprechung mit Herrn ×. in Anwesenheit des stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden U. hergestellt worden sei. Dass vor der Zustimmung zu der Betriebsvereinbarung in einer Sitzung, zu der unter Mitteilung des entsprechenden Tagesordnungspunktes ordnungsgemäß geladen worden sei, eine Beschlussfassung erfolgt sei, hat er im Verlauf seiner weiteren Vernehmung nicht behauptet.

(b) Der Zeuge U. hat ausgesagt, dass er sich an die Beschlussfassung über die Betriebsvereinbarung nicht mehr erinnern könne. Er könne weder sagen, wann noch ob eine (ausdrückliche) Beschlussfassung erfolgt sei. Zwar hat auch Herr U. beteuert, dass immer – auch im Fall des Abschlusses der BV Entlohnung/Grundsätze – im Einvernehmen mit allen Betriebsratsmitgliedern gehandelt worden sei, konkretere Erinnerungen an eine Sitzung hatte er aber nicht.

(c) Die Aussage des Zeugen ×. weicht in wesentlichen Punkten von denen der beiden übrigen Betriebsratsmitglieder ab. Auch dieser Zeuge hat aber erklärt, dass vor der Unterzeichnung kein ordnungsgemäßer Beschluss über die Zustimmung zur BV Entlohnung/Grundsätze getroffen worden sei.

(d) Nach den insoweit weitgehend übereinstimmenden Aussagen der Zeugen ist die Kammer davon überzeugt, dass vor Abschluss der BV Entlohnung/Grundsätze kein ordnungsgemäßer Zustimmungsbeschluss des Gremiums gefasst wurde.

Die Kammer hält insbesondere die Aussage des Zeugen I. zum Fehlen einer ordnungsgemäßen Beschlussfassung (vor Unterschrift) für glaubhaft. Dem Zeugen I. war es sichtlich unangenehm, daran erinnert zu werden, dass er sich in seiner Funktion als Betriebsratsvorsitzender nicht vorschriftsmäßig verhalten hat. Nachvollziehbar und unter Schilderung persönlicher Erinnerungen hat er einerseits erklärt, dass Herr ×. in den relevanten Tagen (vor und an dem Tag der Unterzeichnung) nicht im Betrieb gewesen sei und deswegen habe angerufen werden müssen. Andererseits hat er zerknirscht davon berichtet, wie er, obwohl er “kein Störgefühl” gehabt habe, auf Nachfrage des Herrn L. habe zugeben müssen, dass es keine Unterlagen über eine (nachträgliche) Beschlussfassung gebe. Für Herrn I. gab es keinen Grund, das vorschriftswidrige Vorgehen vor der Unterschriftsleistung wahrheitswidrig zu behaupten. Im Gegenteil: Er war sichtlich bemüht, sein Vorgehen begreiflich zu machen und die “formalen Unzulänglichkeiten” mit seiner besonderen Stressbelastung zu erklären. Die Kammer ist daher überzeugt, dass der Zeuge in diesem Punkt wahrheitsgemäß ausgesagt hat.

(3) Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Betriebsrat den fehlenden Beschluss nach Unterzeichnung der BV Entlohnung/Grundsätze nachgeholt hat. Zwar kann der Betriebsrat durch einen entsprechenden Beschluss das Handeln seines Vorsitzenden nachträglich genehmigen (vgl. BAG, Beschluss vom 09.12.2014 – 1 ABR 19/13 – Juri; BAG, Beschluss vom 10.10.2007 – 7 ABR 51/06 – Juris; BAG, Beschluss vom 19.01.2005 – 7 ABR 24/04 – Juris; BAG, Urteil vom 15.12.1961 – 1 AZR 207/59 – Juris). Es ist auch anerkannt, dass durch einen derartigen Beschluss eine bis dahin schwebend unwirksame Vereinbarung gemäß §§ 177 Abs. 1, 184 Abs. 1 BGB rückwirkend Wirksamkeit erlangen kann (vgl. BAG, Beschluss vom 09.04.2014 – 1 ABR 19/13 – Juris; BAG, Beschluss vom 17.11.2010 – 7 ABR 120/19 – Juris; BAG, Beschluss vom 10.10.2007 – 7 ABR 51/06 – Juris; BAG, Urteil vom 15.12.1961 – 1 AZR 207/59 – AP Nr. 1 zu § 615 BGB Kurzarbeit; Krois, DB 2020, 674). Da der Betriebsrat jedoch als Kollegialorgan handelt und sich seine Willensbildung durch Beschlüsse vollzieht, ist das nicht stillschweigend möglich, sondern erfordert wiederum grundsätzlich eine durch ordnungsgemäße Ladung aller Betriebsratsmitglieder unter Mitteilung der jeweiligen Tagesordnung vorbereitete förmliche Beschlussfassung.

Keines der drei Betriebsratsmitglieder hat konkret behauptet, dass nach Abschluss der Betriebsvereinbarung ein legitimierender Beschluss unter Beachtung der formellen Anforderungen nachgeholt worden sei. Zwar sind sowohl der Vorsitzende I. als auch das Betriebsratsmitglied U. offenbar zunächst davon ausgegangen, sie hätten einen entsprechenden Beschluss gefasst, beiden Aussagen war aber zu entnehmen, dass sie sich an einen konkreten Vorgang nicht erinnern konnten. Der Zeuge ×. hat ebenfalls ausgesagt, dass es “kein Protokoll” und “keinen Beschluss” gebe.

(4) Dem Betriebsrat ist das Handeln seines Vorsitzenden jedoch nach den Grundsätzen der Anscheinsvollmacht zuzurechnen.

(a) Nach diesem im allgemeinen Zivilrecht nahezu einhellig anerkannten Rechtsinstitut bedarf es für eine Anscheinsvollmacht eines Rechtsscheintatbestands, der dem Vertretenen zurechenbar ist und auf den der Geschäftsgegner vertraut, so dass er daraufhin handelt (vgl. MüKoBGB/Schubert, 8. Auflage, 2018, § 167 Rn. 111). Sie liegt vor, wenn eine Partei das gegenüber Dritten den Rechtsschein einer Vollmacht erzeugende Verhalten zwar nicht kennt, es bei pflichtgemäßer Sorgfalt aber hätte erkennen und verhindern können (vgl. BGH, Urteil vom 05.07.2012 – III ZR 116/11 – Juris; BGH, Urteil vom 11.05.2011 – VIII ZR 289/09 – Juris; BGH, Urteil vom 17.10.1989 – XI ZR 158/88 – Juris; BGH, Urteil vom 12.03.1981 – III ZR 60/80 – Juris).

Bei der Vertretung des Betriebsrats ist die Besonderheit zu berücksichtigen, dass der Vorsitzende, wie oben dargelegt, das Gremium nicht im Willen vertritt. Der gute Glaube des Arbeitgebers an eine ordnungsgemäße Beschlussfassung ist – für sich genommen – gesetzlich nicht geschützt (vgl. BAG, Urteil vom 24.02.2000 – 8 AZR 180/99 – Juris; BAG, Urteil vom 10.11.1992 – 1 AZR 183/92 – AP Nr,. 58 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; MHdB ArbR, 4. Auflage, 2019, § 293 Organisation des Betriebsrats Rn. 25 f.; Krois, DB 2020, 674). Überwiegend anerkannt ist in Rechtsprechung und Literatur aber gleichwohl, dass auch bei Erklärungen, die der Vorsitzende unbefugt abgibt, eine Duldungs- oder Anscheinsvollmacht in Betracht kommt (vgl. BAG, Beschluss vom 09.12.2014 – 1 ABR 19/13 – Juris; BAG, Urteil vom 21.02.2002 – 2 AZR 581/00 – Juris; BAG, Urteil vom 24.02.2000 – 8 AZR 180/99 – Juris; Richardi/Thüsing, BetrVG, 16. Auflage, 2018, § 26 Rn. 48 ff; Fitting, BetrVG, 30. Auflage, 2020, § 26 Rn. 32 ff; GK-BetrVG/Raab, 11. Auflage, 2018, § 26 Rn. 43 ff; MHdB ArbR, 4. Auflage, 2019 § 293 Organisation des Betriebsrats, Rn. 25f.; Düwell/Wolmerath, BetrVG, 5. Auflage, 2018, § 26 Rn. 15 f.; Tschöpe/Zerbe, ArbR Hdb, 11. Auflage, 2019, Beteiligte und Organe der Betriebsverfassung, Rn. 140; einschränkend LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 09.06.2015 – 1 TaBV 4 b/15 – Juris).

Die Voraussetzungen, unter denen eine Haftung des Betriebsrats für das Handeln seines Vertreters angenommen werden kann, sind in der Rechtsprechung weitgehend ungeklärt. Zuzustimmen ist der in der Literatur überwiegend vertretenen Auffassung, nach der der Vertrauenstatbestand dem Betriebsrat jedenfalls dann zuzurechnen ist, wenn er das Auftreten des Betriebsratsvorsitzenden kannte und der Arbeitgeber auf den so gesetzten Rechtsschein vertraut hat sowie nach Treu und Glauben darauf vertrauen durfte. Voraussetzung ist danach auf Seiten des Betriebsrats, dass die Mehrheit der Mitglieder von dem Auftretenden des Vorsitzenden gewusst hat oder hätte wissen müssen (vgl. Richardi/Thüsing, BetrVG, 16. Auflage, 2018, § 26 Rn. 51 f.; Fitting, BetrVG, 30. Auflage, 2020, § 26 Rn. 32 ff; GK-BetrVG/Raab, 11. Auflage, 2018, § 26 Rn. 47 ff.). Gleiches soll gelten, wenn der Vorsitzende zunächst erkennbar als Vertreter ohne Vertretungsmacht auftritt, der Betriebsrat sich aber verschweigt, so dass der Arbeitgeber von einer Genehmigung ausgehen kann (vgl. Richardi/Thüsing, BetrVG, 16. Auflage, 2018, § 26 Rn. 53; GK-BetrVG/Raab, 11. Auflage, 2018, § 26 Rn. 50).

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist eine Rechtsscheinhaftung vorliegend zu bejahen.

(b) Nach dem vorgetragenen Sachverhalt ist davon auszugehen, dass die Beklagte von der mangelhaften Beschlussfassung keine Kenntnis hatte und auf die wirksame Vertretung des Betriebsratsgremiums durch den damaligen Vorsitzenden I. vertraut hat. Zwar hat die Beklagte in ihrem Schriftsatz selbst erwähnt, es sei in diesen Zeiten “gebräuchlich und üblich” gewesen, dass sich Betriebsratsmitglieder telefonisch abgestimmt hätten. Es ist aber nichts dafür ersichtlich, dass sie im konkreten Fall Kenntnis von einer mangelhaften Beschlussfassung gehabt hätte oder dies hätte wissen müssen.

Entgegen der Ansicht des Klägers musste die Beklagte insbesondere nicht aufgrund der Beteiligung einzelner Mitglieder an der Verhandlung und der E-Mail-Korrespondenz von einer vorschriftswidrigen (Nicht-)Befassung des Gremiums ausgehen. Zum einen ist es durchaus üblich und sinnvoll, dass Verhandlungen nicht durch das gesamte Gremium geführt werden, zum anderen lag zwischen den vorlegten E-Mails und der Unterzeichnung der Betriebsvereinbarungen – worauf der Kläger selbst hingewiesen hat – eine erhebliche Zeitspanne, so dass in der Zwischenzeit eine Beschlussfassung hätte erfolgen können.

Wie alle Betriebsratsmitglieder übereinstimmend ausgesagt haben, fanden in der Zeit der Umstrukturierung sehr regelmäßig (wöchentliche) Sitzungen des Gremiums statt. Insofern konnte die Beklagte zu Recht darauf vertrauen, dass das Gremium über eine derart wesentliche Entscheidung, insbesondere nach einem langwierigen Verhandlungsprozess, im Rahmen einer solchen Sitzung vorschriftsmäßig beschließen würde.

(c) Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist die Kammer davon überzeugt, dass alle Mitglieder des Betriebsrats von der Unterzeichnung durch den Vorsitzenden – bereits vorab – positive Kenntnis hatten. Jedenfalls wusste die Mehrzahl der Mitglieder Bescheid. Zudem haben alle drei Mitglieder nachträglich vom Auftreten des Vorsitzenden als Vertreter ohne Vertretungsmacht gewusst, dies aber nach außen nicht nur verschwiegen, sondern im Gegenteil gegenüber dem Arbeitgeber und der Belegschaft den Eindruck einer wirksamen Vertretung bestärkt.

(aa) Der Zeuge I. hat ausgesagt, dass er sich am Tag vor der Unterschriftsleistung mit Herrn U. ausgetauscht und übereingekommen sei, dass man an dem Verhandlungsergebnis nichts mehr ändern und es in dieser Fassung mittragen könne. In einem Telefonat mit dem weiteren Betriebsratsmitglied ×. habe man diesen entsprechend informiert und gesagt, dass die Vereinbarung am nächsten Tag – wenn keine Einwände mehr kämen – unterzeichnet werde. In der Folgezeit habe man die Vereinbarung in den Unterlagen abgeheftet und die Belegschaft unter anderem in einer Betriebsversammlung, in der die Betriebsratsmitglieder anwesend gewesen seien, sowie in Einzelgesprächen über den wesentlichen Inhalt informiert.

(bb) Der Zeuge U. hat ausgesagt, dass er persönlich anwesend gewesen sei, als Herr I. die BV Entlohnung/Grundsätze unterzeichnet habe. Herr ×. sei über den Stand der Verhandlungen und über die Unterzeichnung der Betriebsvereinbarung unterrichtet gewesen, er könne allerdings den Zeitpunkt nicht mehr konkret benennen. Auch dieser Zeuge hat bestätigt, dass die Belegschaft im Rahmen einer Betriebsversammlung und durch einen Aushang am schwarzen Brett über den Abschluss informiert worden ist. Herr ×. habe zu keinem Zeitpunkt geäußert, dass er mit der Unterzeichnung nicht einverstanden gewesen sei. Rückblickend müsse er allerdings sagen, dass Herr ×. wohl dagegen gewesen sei.

(cc) Der Zeuge ×. hat den Verlauf seiner Einbeziehung anders geschildert: Er hat ausgesagt, er sei zwar über die Verhandlungen informiert gewesen, habe sich aber für ein Abwarten bis zur Wahl des neuen Betriebsrats eingesetzt. Von der Unterschriftenleistung habe er erst am Nachmittag des 08.06.2017, also wohl nachträglich, erfahren und zuerst “nein” gesagt. Im weiteren Verlauf des Gesprächs sei deutlich geworden, dass er von den anderen beiden Mitgliedern überstimmt worden und die Betriebsvereinbarung damit genehmigt sei. Er habe zu keinem Zeitpunkt gegenüber Mitarbeitern oder Arbeitgeber zu erkennen gegeben, dass die Betriebsvereinbarung nach seiner – jetzigen – Auffassung unwirksam sei, auch nicht in der Betriebsversammlung.

(dd) Übereinstimmung in den Aussagen besteht insoweit, als jedenfalls zwei Mitglieder vorab von der Unterzeichnung wussten.

Die Kammer sieht keinen Anlass, die Wahrheit der Aussage des Zeugen U., er sei bei der Unterzeichnung der Betriebsvereinbarung durch Herrn I. persönlich anwesend gewesen, in Zweifel zu ziehen. Zwar konnte der Zeuge sich an viele Details nicht mehr erinnern, in diesem Punkt war seine Aussage aber sehr klar und ohne erkennbare Unsicherheit. Ohne hierauf durch das Gericht konkret angesprochen worden zu sein, schilderte er von sich aus die Situation der Vertragsunterzeichnung. Er erwähnte, dass auch der Berater von der IG-Metall dabei gewesen sei und dass dieser gesagt habe, das sei “so in Ordnung”. Die Erinnerung an diesen Geschehensablauf erschien der Kammer ungefiltert, nicht vorgefertigt oder abgesprochen. Mit Blick auf die nachträglichen Unstimmigkeiten im Betrieb und die zwischenzeitlichen Vorwürfe aus der Belegschaft ist zudem nicht erkennbar, warum der Zeuge U. ein Interesse an einer falschen Aussage haben sollte. Zwar konnte sich der Zeuge I. nicht konkret daran erinnern, dass Herr U. während der Unterzeichnung anwesend war, hat dies aber auch nicht ausgeschlossen. Dass Herr I. an dieses Detail keine Erinnerung hat, steht der Richtigkeit der Schilderung des Zeugen U. nach Überzeugung der Kammer nicht entgegen. Damit steht zunächst fest, dass zum Zeitpunkt des Abschlusses der Betriebsvereinbarung die Mehrheit der Mitglieder, nämlich Herr I. und Herr U., vom Auftreten des Betriebsratsvorsitzenden Kenntnis hatte.

(ee) Widersprüche zwischen den Aussagen ergeben sich demgegenüber hinsichtlich der Frage, wann die Zeugen I. und U. den Zeugen ×. von der Unterzeichnung unterrichtet haben und ob dieser seine Ablehnung zu erkennen oder dem Vorhaben ohne Vorbehalt zugestimmt hat.

Die Kammer hat die Aussagen der Zeugen gemäß § 286 Abs. 1 ZPO unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung gewürdigt. Sie hält die hierzu im Wesentlichen übereinstimmenden Aussagen der Zeugen I. und U. für glaubhaft und geht deshalb davon aus, dass auch das dritte Mitglied, Herr ×., bereits im Vorfeld der Unterzeichnung informiert worden ist.

(aaa) Der Zeuge I. hat während seiner Vernehmung einen insgesamt unbefangenen, aufrichtigen Eindruck gemacht und sich erkennbar Mühe gegeben, die Geschehnisse zutreffend wiederzugeben, aber gleichzeitig keine Angaben zu tätigen, von deren Richtigkeit er nicht überzeugt war. Der Zeuge konnte sich an die Umstände, unter denen er seinen Betriebsratskollegen ×. über die bevorstehende Unterschriftenleistung informiert hat, gut erinnern. Er schilderte nicht nur, wann und wo (“im Betriebsratsbüro”) das Telefonat stattgefunden hat, sondern konnte auch Details der Situation (“uns in die Augen geschaut und gefragt, ob wir da noch was ändern können”) wiedergeben. Obwohl dem Zeugen jedenfalls zwischenzeitlich klar geworden war, dass die bloß telefonische Abstimmung den Vorgaben des Betriebsverfassungsgesetzes widersprach, berichtete er von den Geschehnissen, ohne eigene Fehler zu beschönigen oder zu verschleiern. Seine weitere Schilderung, nach der er selbst fest davon ausgegangen ist, im Nachgang einen ordnungsgemäßen Beschluss gefasst zu haben, und von dem Fehlen eines entsprechenden Schriftstückes völlig überrascht wurde, erscheint der Kammer plausibel und erschüttert die Glaubhaftigkeit seiner Aussage nicht. Der Zeuge I. hat eingeräumt, dass er aufgrund der wirtschaftlich schwierigen Situation des Betriebs, der Verkleinerung des Gremiums und der Einbeziehung seines Gremiums (Sozialplan, Interessenausgleich, Kündigungen, Entgeltsystem etc.) unter erheblichem Druck stand. Die vielfältigen Aufgaben als Betriebsratsratsvorsitzender seien ihm in dieser Zeit über den Kopf gewachsen. Dass der Zeuge seine diesbezüglichen Versäumnisse ebenso wie eigene Erinnerungslücken so freimütig und selbstkritisch eingeräumt hat, spricht für seine Glaubwürdigkeit. Die Konfrontation mit der abweichenden Aussage des Zeugen ×. hat den Zeugen I. nicht verunsichert. Spontan und glaubwürdig wirkte sein Erstaunen über dessen Schilderung, die ihn nicht zu einer Relativierung sondern zu einer Bekräftigung seiner Einlassung veranlasst hat.

(bbb) Der Zeuge U. hat in seinem gesamten Aussageverhalten deutlich unsicherer gewirkt. Seine – wenn auch sehr schemenhafte und weniger ergiebige – Erinnerung deckt sich aber im Wesentlichen mit der Einlassung des Zeugen I.. Glaubhaft konnte er der Kammer vermitteln, dass auch er während der Zeit der Restrukturierung unter erheblichem Druck stand, aber andererseits von einem “gewissenhaften”, einvernehmlichen Vorgehen des Betriebsrats überzeugt war. Der Zeuge U. hat sich zwar durch die Aussage des Zeugen ×. sichtlich verunsichern lassen, blieb aber letztlich bei seiner Einlassung, jedenfalls auf der “Grundlage eines Mehrheitsbeschlusses” gehandelt zu haben.

(ccc) Dass der Zeuge ×. vor der Unterzeichnung nicht informiert gewesen ist und nachträglich den Abschluss der Betriebsvereinbarung derart deutlich, wie er es in seiner Vernehmung kundgetan hat, abgelehnt hat, erscheint der Kammer demgegenüber wenig glaubhaft. Jedenfalls geht das Gericht insoweit nicht von einer zuverlässigen Erinnerung des Zeugen aus. Das angebliche klare “Nein” zu der Betriebsvereinbarung steht in auffälligem Widerspruch zu seinem ansonsten – von ihm selbst eingeräumt – sehr unerfahrenen, unsicheren und passiven Verhalten. Der Zeuge, der trotz der überschaubaren Komplexität des Beweisthemas während seiner Aussage wiederholt auf seine Notizen schauen musste, stand während der Vernehmung erkennbar unter ganz erheblichem Druck. Die Kammer geht davon aus, dass der Zeuge, beeinflusst durch den Unmut der Belegschaft, im Nachhinein sein ungutes “Gefühl” zu der verhandelten Betriebsvereinbarung als klare Ablehnung interpretiert wissen will, ohne dass eine entsprechende Äußerung in dieser Deutlichkeit tatsächlich gefallen wäre. Auch soweit der Zeuge ausgesagt hat, er sei von Herrn I. erst nach der Unterzeichnung der Betriebsvereinbarung angerufen und informiert worden, hält die Kammer dies für nicht glaubhaft. Zum einen hat der Zeuge auf Nachfrage des Gerichts seine Unsicherheit im Hinblick auf den Zeitpunkt selbst eingeräumt. Zum anderen hatte die Kammer hier ebenfalls den Eindruck, dass die Erinnerung durch den späteren Rechtfertigungsdruck “gefärbt” war.

(ddd) Unter Würdigung aller Zeugenaussagen geht die Kammer nach alledem davon aus, dass die drei Betriebsratsmitglieder sich vor dem 08.06.2017 – ohne förmlichen Beschluss und lediglich telefonisch – auf die Zustimmung zur Betriebsvereinbarung verständigt haben und dass ihnen bewusst war, dass der Betriebsratsvorsitzende als Vertreter des Gremiums unterzeichnen würde. Selbst wenn allerdings von der Richtigkeit der Aussage des Zeugen ×. auszugehen wäre, steht fest, dass der gesamte Betriebsrat spätestens am 08.06.2017 Kenntnis von der Unterzeichnung hatte.

(ff) Die Beweisaufnahme hat des Weiteren aufgrund der insoweit übereinstimmenden Einlassungen ergeben, dass in der Folgezeit keines der Betriebsratsmitglieder bestehende Zweifel an dem wirksamen Handeln des Vorsitzenden kundgetan hat. Im Gegenteil: Zwar ist es nach der Unterzeichnung zunächst “ruhig” geworden, im weiteren Verlauf ist die Betriebsvereinbarung und ihr wesentlicher Inhalt aber zumindest im Rahmen einer Betriebsversammlung vorgestellt worden. Der Betriebsrat hat weder hier noch während des Eingruppierungsprozesses auf etwaige Abschlussmängel hingewiesen, sondern die Anwendung der neuen Normen durch die Arbeitgeberseite geschehen lassen bzw. diese zum Teil auch aktiv begleitet.

(gg) Die Voraussetzungen für eine Rechtsscheinhaftung liegen damit vor.

Zum einen handelte der Betriebsratsvorsitzende I. – aufgrund der Kenntnis (zumindest) der Mehrheit des Gremiums und des guten Glaubens der Beklagten – mit Anscheinsvollmacht. Zum anderen haftet der Betriebsrat, weil er die Beklagte trotz Kenntnis aller Mitglieder vom Fehlen der ordnungsgemäßen Beschlussfassung hierauf nicht aufmerksam gemacht hat.

Selbst wenn für die Beklagte – wovon, wie oben dargelegt, nicht auszugehen ist – das Handeln ohne Vertretungsmacht erkennbar gewesen sein sollte, konnte sie nach dem Verhalten der Betriebsratsmitglieder jedenfalls von einer Genehmigung ausgehen.

cc) Da dem Betriebsrat das Verhalten seines Vorsitzenden zuzurechnen ist, muss er sich so behandeln lassen, als ob dieser ordnungsgemäß gehandelt hätte. Dies hat zur Folge, dass die BV Entlohnung/Grundsätze (formell) wirksam abgeschlossen worden ist und normative Wirkung entfaltet.

Ob ein Betriebsratsvorsitzender mit Anscheinsvollmacht für sein Gremium eine Betriebsvereinbarung wirksam abschließen kann oder – wenn nein – welche sonstigen Rechtsfolgen sein Handeln haben soll, ist in Literatur und Rechtsprechung weitgehend ungeklärt. Die 10. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf hat mit Beschluss vom 27.04.2018 – 10 TaBV 64/17 – entschieden, eine Rechtsscheinhaftung könne nicht die rechtliche Konsequenz haben, dass eine Betriebsvereinbarung im Sinne des § 77 BetrVG wirksam zustande komme. Begründet hat sie diese Auffassung mit dem Grundverständnis der normativen Wirkung von Betriebsvereinbarungen. Dieses stehe einer Wirkung “kraft Rechtschein” entgegen (ähnlich ohne nähere Begründung: GK-BetrVG/Raab, 11. Auflage, 2018, § 26 Rn. 52; dagegen für eine normative Wirkung Dietz, Anscheinsvollmacht des Betriebsratsvorsitzenden, RdA 1968, 439, 442). Den schutzwürdigen Belangen des Arbeitgebers sei Genüge getan, wenn die von ihm in der Vergangenheit im Vertrauen auf den vom Betriebsrat gesetzten Rechtsschein getätigte Disposition in ihrer Wirksamkeit gegenüber dem Betriebsrat und ggf. betroffenen Arbeitnehmern unangetastet bleibe. Ein weitergehender Schutz, so die 10. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf, sei weder erforderlich noch angemessen.

Diese Auffassung überzeugt die zur Entscheidung berufene Kammer nicht. Sie ist mit dem Sinn und Zweck des Instituts der Rechtsscheinhaftung nicht vereinbar und führt zu Rechtsunsicherheit, anstatt Rechtssicherheit zu schaffen.

Bei der Rechtsscheinhaftung handelt es sich um einen Fall der Vertrauenshaftung (Staudinger/Schilken, 2019, § 167 Rn. 32; MüKoBGB/Schubert, 8. Auflage, 2018, § 167 Rn 98). Der Schutz des Geschäftsgegners wird dadurch bewirkt, dass die Vollmacht, auf deren Bestehen er aufgrund des Rechtsscheins vertraut hat, wie eine echte, durch Rechtsgeschäft begründete Vollmacht behandelt wird (NK-BGB/Ackermann, 3. Auflage, 2016, § 167 Rn. 92). Der Rechtsschein wird somit der Rechtswirklichkeit vollständig gleichgestellt. Das bedeutet, dass der Vertretene auch beim Vorliegen einer Rechtsscheinvollmacht wirksam gebunden wird (vgl. BGHZ 12, 105 [109]; 17, 13 [17]; 86, 273; MüKoBGB/Schubert, 8. Auflage, 2018, § 167 Rn. 138; BeckOK BGB/Schäfer, Stand 11/2020, § 67 Rn. 18; NK-Ackermann, 3. Auflage, 2016, § 67 Rn. 91f.; Staudinger/Schilken, BGB, 2019, § 167 Rn. 44 m.w.N.). Diesem Sinn und Zweck widerspricht es, wenn beim Handeln des Betriebsratsvorsitzenden zwar grundsätzlich eine Rechtsscheinhaftung anerkannt (so ausdrücklich GK-BetrVG/Raab, 11. Auflage, 2018, § 26 Rn. 46 ff.), deren Wirkung aber eingeschränkt wird.

Zwar ist anzuerkennen, dass Betriebsvereinbarungen – anders als “normale” schuldrechtliche Verträge – Wirkungen gegenüber Dritten entfalten, indem sie normativ auf die Arbeitsverhältnisse der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer einwirken. Tatsächlich erstreckt sich der Vertrauensschutz also über den eigentlichen Vertragspartner hinaus auf Dritte, die am Rechtsgeschäft und dessen Abschluss nicht beteiligt sind. Dies ändert aber nichts daran, dass es sich bei einer Betriebsvereinbarung nach der herrschenden Vertragstheorie um eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung handelt, die durch inhaltlich übereinstimmende Willenserklärungen der Betriebspartner zustande kommt (vgl. Fitting, 30. Auflage, 2020, § 77 Rn. 13, 18 m.w.N.). Maßgeblich für deren Wirksamkeit können und müssen daher diejenigen Grundsätze sein, die auch sonst für privatrechtliche Verträge gelten. Andernfalls würde der beabsichtigte Vertrauensschutz in sein Gegenteil verkehrt, denn für den Arbeitgeber bliebe ebenso wie für die Arbeitnehmer unklar, ob und in welcher Weise die von den Betriebsparteien (anscheinend) getroffenen Regelungen Geltung erlangen.

Soweit die Gegenmeinung die Auffassung vertritt, der Rechtsschein dürfe nur so weit gehen, wie die eingeschränkte Dispositionsbefugnis des Arbeitgebers wiederhergestellt werde (vgl. GK-BetrVG/Raab, 11. Auflage, 2018, § 26 Rn. 52; ähnlich LAG Düsseldorf, Beschluss vom 27.04.2018 – 10 TaBV 64/17 – Juris), bleibt offen, was damit gemeint ist. Gerade in Fällen wie dem vorliegenden, in denen die Betriebsparteien durch die Betriebsvereinbarung ein Entgeltsystem grundlegend modifizieren, die Änderungen auch der Entgelthöhe zur Folge haben, wird deutlich, dass die Zuerkennung einer normativen Wirkung zur Schaffung von Rechtssicherheit zwingend erforderlich ist. Die Beklagte hat auf der Grundlage der (vermeintlich formell wirksamen) Betriebsvereinbarung nicht nur Eingruppierungen vorgenommen, sondern auch ihre finanziellen Dispositionen danach ausgerichtet. Nur dann, wenn die Betriebsvereinbarung – abgesehen von möglichen materiellen Mängeln – normative Wirkung entfaltet, ist ihr Vertrauen in den Rechtsschein ausreichend geschützt.

b) Die BV Entlohnung/Grundsätze ist auch materiell wirksam.

aa) Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, verstößt die BV Entlohnung/Grundsätze weder gegen § 77 Abs. 3 BetrVG noch gegen § 87 Abs. 1 BetrVG.

Zwar sieht § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG vor, dass Arbeitsentgelte, die durch Tarifvertrag geregelt sind, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein können. Zudem schließt § 87 Abs. 1 BetrVG die betriebliche Mitbestimmung aus, soweit eine tarifliche Regelung besteht. § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG stellt aber klar, dass dies nicht gilt, wenn ein Tarifvertrag den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zulässt.

Vorliegend haben zwar die Tarifvertragsparteien selbst Entlohnungsgrundsätze aufgestellt, indem sie in § 2 LRTV festgelegt haben, dass die Einstufung nach dem Lohngruppensystem, geregelt in den §§ 3 – 7 LRTV, oder nach der analytischen Arbeitsbewertung, geregelt im Anhang zum LRTV, erfolgt. In § 1 Abs. 1 des Anhangs zum LRTV wird aber der Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur “Einführung der tariflichen analytischen Arbeitsbewertung” zugelassen, während Absatz 2 für die “Einführung einer anderen Arbeitsbewertungsmethode” eines Zusatztarifvertrages bedarf. Zur Beantwortung der Frage, ob auch die “Rückkehr” vom Lohngruppensystem (Summarik) zum System der analytischen Arbeitsbewertung (Analytik) durch Betriebsvereinbarung zulässig ist oder ob hierfür der Abschluss eines (Zusatz-)Tarifvertrages erforderlich ist, bedarf es der Auslegung der tariflichen Normen. Die zur Entscheidung berufene Kammer folgt dem Arbeitsgericht im Ausgangspunkt, wenn es den Tarifvertrag dahin versteht, dass nach dem Ende einer die Analytik einführenden Betriebsvereinbarung “automatisch” wieder die tarifliche Summarik zur Anwendung gelangt. Ob die tariflichen Regelungen die Betriebsparteien darüber hinaus – hinreichend deutlich – ermächtigt haben, über die “Rückkehr” und die zukünftige Anwendung der summarischen Arbeitsbewertungsmethode eine Betriebsvereinbarung abzuschließen, bedarf keiner Entscheidung. Denn die BV Entlohnung/Grundsätze ist durch die gemeinsamen Erklärungen der Tarifvertragsparteien vom 14.06.2017 sowie vom 31.03.2020 nachträglich wirksam geworden.

(1) Eine Verletzung des Tarifvorrangs nach § 77 Abs. 3 BetrVG hat nur die schwebende Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung zur Folge (vgl. Fitting, BetrVG, 30. Auflage, 2020, § 77 Rn. 30). § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG macht deutlich, dass es den Tarifvertragsparteien vorbehalten bleibt, ob sie abweichende Betriebsvereinbarungen zulassen wollen oder nicht. Sie sollen selbst darüber entscheiden, inwieweit sie den Betriebspartnern die diesen gemäß § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG grundsätzlich entzogene Gestaltungsmacht zurückgeben. Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts, der sich die erkennende Kammer anschließt, können die Tarifvertragsparteien daher durch Vereinbarung einer Tariföffnungsklausel eine – zuvor gegen den Tarifvertrag verstoßende – Betriebsvereinbarung rückwirkend genehmigen, sofern das Vertrauen der Normadressaten in den Fortbestand der bisherigen Rechtslage dem nicht entgegensteht (vgl. BAG, Urteil vom 29.01.2002 – 1 AZR 267/01 – NZA 2002, 927; BAG, Urteil vom 20.04.1999 – 1 AZR 631/98 – NZA 1999, 1059).

(2) Durch die Genehmigung ist die BV Entlohnung/Grundsätze wirksam geworden, ohne dass dadurch gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes verstoßen worden wäre.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts tragen tarifliche Regelungen den Vorbehalt ihrer rückwirkenden Abänderbarkeit durch Tarifvertrag in sich. Das gilt unter Beachtung des Vertrauensschutzes auch für bereits entstandene und fällig gewordene, aber noch nicht erfüllte Ansprüche. Sie genießen keinen Sonderschutz gegenüber rückwirkenden Änderungen (vgl. BAG, Urteil vom 29.01.2002 – 1 AZR 267/01 – NZA 2002, 927; BAG, Urteil vom 23.11.1994 – 4 AZR 879/93 – Juris). Eine echte Rückwirkung kommt allerdings – wie bei Gesetzen – nur in Betracht, wenn der Normadressat im Zeitpunkt des rückwirkenden Inkrafttretens der Norm keinen hinreichenden Vertrauensschutz auf den Fortbestand der bisherigen Rechtslage mehr genießt. Dies ist etwa dann anzunehmen, wenn er mit einer abweichenden Neuregelung rechnen musste. In diesem Sinne entfällt der Vertrauensschutz etwa dann, wenn die Tarifvertragsparteien eine “gemeinsame Erklärung” über den Inhalt der Tarifänderung und den beabsichtigten Zeitpunkt ihres Inkrafttretens vor Abschluss des Tarifvertrages abgeben und diese den betroffenen Kreisen bekanntgemacht wird (BAG, Urteil vom 20.04.1999 – 1 AZR 631/98 – Juris; BAG, Urteil vom 23.11.1994 – 4 AZR 879/93 – Juris).

Ausgehend von diesen Grundsätzen liegt kein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot vor. Bereits mit Schreiben vom 14.06.2017, also unmittelbar nach Abschluss der BV Entlohnung/Grundsätze und noch weit vor deren Umsetzung im Betrieb, haben die Tarifvertragsparteien gemeinsam erklärt, dass etwaige Abweichungen von den flächentarifvertraglichen Regelungen “genehmigt” würden. Die zur Entscheidung berufene Kammer hat schon im Hinblick auf diese Erklärung keinen Zweifel an deren Aussagegehalt. Die Tarifvertragsparteien haben hinreichend deutlich gemacht, dass sie die mit der BV Entlohnung/Grundsätze vollzogene Rückkehr zum summarischen Arbeitsbewertungssystem billigen und – falls dies nicht ohnehin aufgrund der Regelungen des LRTV zulässig sein sollte – genehmigen wollten. Mit der weiteren gemeinsamen Erklärung vom 31.03.2020 haben die Tarifvertragsparteien dies näher erläutert und wiederholt. Sie haben dargelegt, dass nach ihrem Verständnis bereits der LRTV selbst den Wechsel von der Analytik zur Summarik durch Betriebsvereinbarung erlaubt und dass die Genehmigung insoweit als vorsorgliche zu verstehen ist.

Selbst wenn man – entgegen der Auffassung der Kammer – die erste gemeinsame Erklärung vom 17.06.2017 nicht als hinreichend bestimmt ansehen wollte, hätte sie jedenfalls ein etwaiges Vertrauen in einen Fortbestand der bisherigen Regelungen (Entlohnung nach der Analytischen Arbeitsbewertung) bereits frühzeitig – und lange vor der Umsetzung der neuen Entgeltsystematik – zerstört.

(3) Entgegen der Auffassung des Klägers verstößt auch die Zuordnung von Arbeitsplätzen zu einzelnen Lohngruppen durch § 3 BV Entlohnung/Grundsätze in Verbindung mit Anlage 1 nicht gegen den Tarifvorrang.

Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, stellen die Benennung von einzelnen Arbeitsplätzen bzw. Maschinen sowie die Zuordnung der dort erbrachten Tätigkeiten zu den jeweiligen Lohngruppen lediglich eine Umsetzung und Anwendung des tarifvertraglichen Lohngruppensystems und keine eigenständige Regelung dar.

Darüber hinaus haben die Tarifvertragsparteien in ihrer gemeinsamen Erklärung vom 31.03.2020 unmissverständlich deutlich gemacht, dass ihnen die Betriebsvereinbarungen vorgelegen und dass sie diese “in der gewählten Form und inhaltlich” vorsorglich genehmigt hätten. Damit besteht kein Zweifel, dass die Tarifvertragsparteien die durch § 3 BV Entlohnung/Grundsätze in Verbindung mit Anlage 1 erfolgte Umsetzung der Zuordnung von Arbeitsplätzen zu den tariflichen Lohngruppenmerkmalen nicht als Verstoß gegen den Tarifvorrang ansehen bzw. diesen jedenfalls vorsorglich “genehmigt” haben.

bb) Die BV Entlohnung/Grundsätze verstößt schließlich nicht gegen die Grundsätze von Recht und Billigkeit oder sonstige Grundsätze der Rechtsordnung.

(1) Während das Bundearbeitsgericht Betriebsvereinbarungen früher einer aus § 75 Abs. 1 BetrVG abgeleiteten sogenannten Billigkeitskontrolle unterworfen hat (vgl. BAG, Urteil vom 26.07.1988 – 1 AZR 156/87 – NZA 1989, 25; BAG, Urteil vom 17.02.1981 – 1 AZR 290/78 – Juris; BAG, Urteil vom 11.06.1975 – 5 AZR 217/74 – Juris), spricht es in jüngeren Entscheidungen eher von einer Rechtskontrolle. Inhaltich geht es bei der Prüfung – ausgehend weiterhin § 75 BetrVG – darum, ob die betriebliche Regelung gesetzlichen Grundentscheidungen widerspricht (vgl. BAG, Urteil vom 20.04.1994 – 10 AZR 323/93 – Juris), den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und das Gleichbehandlungsgebot beachtet, wobei den Betriebspartnern aber hinsichtlich der Bewertung der Interessen des Betriebes und der Arbeitnehmer ein weiter Beurteilungsspielraum eingeräumt wird (vgl. BAG, Urteil vom 13.08.2019 – 1 AZR 213/18 – Juris; BAG, Urteil vom 26.10.1994 – 10 AZR 482/93 – NZA 1995, 266; wiederum von Billigkeitskontrolle sprechend BAG, Urteil vom 20.02.2001 – 1 AZR 322/00 – Juris).

Zu beachten ist hierbei, dass für das Verhältnis von Betriebsvereinbarungen zueinander grundsätzlich das Ablösungsprinzip gilt. Die neue Betriebsvereinbarung tritt an die Stelle der bisherigen. Dies ist grundsätzlich auch dann der Fall, wenn die neue Regelung für die Arbeitnehmer ungünstiger ist. Das Günstigkeitsprinzip kommt hier nicht zum Tragen. Es ist insbesondere auch nicht – wie bei einer Ablösung einer Gesamtzusage durch Betriebsvereinbarung – ein kollektiver Günstigkeitsvergleich vorzunehmen (vgl. dazu BAG (Großer Senat), Beschluss vom 16.09.1986 – GS 1/82 – Juris). Ein genereller Vertrauensschutz der normunterworfenen Arbeitnehmer in den Fortbestand günstiger Betriebsvereinbarungen ist grundsätzlich nicht anerkannt (BAG, Beschluss vom 19.09.2006 – 1 ABR 58/05 – Juris; Oberthür/Seitz, Betriebsvereinbarungen, A.VIII. Rn. 6). Die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes sind jedoch insoweit zu beachten, als durch die neue Betriebsvereinbarung in bereits bestehende Besitzstände der Arbeitnehmer eingegriffen wird (vgl. BAG, Urteil vom 29. Oktober 2002 – 1 AZR 573/01 – Juris; BAG, Urteil vom 20.02.2001 – 1 AZR 322/00 – Juris; BAG, Urteil vom 05.10.2000 – 1 AZR 48/00 – Juris). Deshalb unterliegen insbesondere Betriebsvereinbarungen, die Versorgungsansprüche aus einer früheren Betriebsvereinbarung einschränken, einer entsprechenden Rechtskontrolle (vgl. etwa BAG, Urteil vom 18.09.2001 – 3 AZR 728/00 – Juris; BAG, Urteil vom 16.07.1996 – 3 AZR 398/95 – Juris). Eine unzulässige echte Rückwirkung liegt zudem vor, wenn eine Rechtsnorm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen einwirkt und dadurch eine Rechtsposition nachträglich entwertet (vgl. etwa BVerfG, Beschlüsse vom 15.10.1996 – 1 BvL 44/92 und 1 BvL 48/92 – Juris; BAG, Urteil vom 15.11.2000 – 5 AZR 310/99 – Juris; Schaub ArbR-HdB, § 231 Rn. 48). Diese kann nicht nur beim Eingriff in Versorgungsansprüche vorliegen, sondern grundsätzlich auch bei Ansprüchen auf andere Sozialleistungen. Maßgeblich ist, ob Arbeitnehmer bereits einen “unverfallbaren” Anspruch, einen von Art. 14 GG erfassten rechtlichen Besitzstand erworben haben(vgl. BAG, Urteil vom 15.11.2000 – 5 AZR 310/99 – Juris).

(2) Hiervon ausgehend verstößt die BV Entlohnung/Grundsätze weder gegen die Grundsätze von Verhältnismäßigkeit und Vertrauensschutz noch gegen andere gesetzliche Grundentscheidungen.

(a) Entgegen der Auffassung des Klägers ergibt sich aus dem Umstand, dass die Ablösung des Entgeltsystems kaufmännische und technische Angestellte nicht betrifft, kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Eine unterschiedliche Behandlung von Arbeitern und Angestellten ist nicht zu beanstanden, wenn mit der Anknüpfung an den Statusunterschied auf einen Lebenssachverhalt abgestellt wird, der geeignet ist, die Ungleichbehandlung sachlich zu rechtfertigen. Dies gilt insbesondere, wenn – wie vorliegend – gruppenspezifisch unterschiedlich ausgestaltete Vergütungssysteme bestehen und damit auf einen Lebenssachverhalt abgestellt wird, der geeignet ist, eine unterschiedliche Behandlung sachlich zu rechtfertigen (vgl. BAG, Urteil vom 10.11.2015 – 3 AZR 575/14 – Juris).

(b) Die BV Entlohnung/Grundätze ist auch mit den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes vereinbar.

Zwar ist dem Kläger zuzugeben, dass nicht nur ein Wechsel von der analytischen zur summarischen Arbeitsbewertung vollzogen wird, sondern dass darüber hinaus § 2 die nunmehr zu gewährenden Entgeltbestandteile aufführt und § 9 Abs. 1 feststellt, dass alle anderen Betriebsvereinbarungen, die Regelungen zur Entlohnung beinhalten, ihre Gültigkeit verlieren. Soweit also Entgeltbestandteile bislang auf einer Betriebsvereinbarung beruhten, werden diese durch die neue BV Entlohnung/Grundsätze ersetzt.

Zum einen wird durch die BV Entlohnung/Grundsätze keine abschließende Bestimmung aller Entgeltbestanteile festgelegt. Vielmehr verweist § 2 ausdrücklich darauf, dass die Einführung weiterer “übertariflicher Entgeltbestandteile” beabsichtigt ist.

Zum anderen wird – soweit mit der Umstellung des Entgeltsystems gleichwohl eine Einbuße für die Arbeitnehmer verbunden ist – nicht in bereits verdiente Besitzstände eingegriffen. Durch die Betriebsvereinbarungen wurde den Arbeitnehmern keine geschützte Rechtsposition auf die Fortgewährung eines Entgelts in bestimmter Höhe eingeräumt. Insofern liegt kein Fall echter Rückwirkung vor. Überdies ist zu beachten, dass der Eingriff mit Blick auf die – vom Kläger nicht in Abrede gestellte – wirtschaftlich sehr angespannte Situation der Beklagten erfolgt, die bereits zu einem erheblichen Personalabbau und Schließungsüberlegungen geführt hat. Die Entgeltminderung dient also unmittelbar der Sicherung der Arbeitsplätze im Betrieb.

Von der grundsätzlichen Zulässigkeit einer Verschlechterung durch Betriebsvereinbarung losgelöst zu beantworten ist die Frage, ob sämtliche Entgeltbestandteile, die dem Kläger zuletzt gewährt wurden, jeweils auf einer Betriebsvereinbarung beruhten und dementsprechend abgelöst werden konnten. Sollten diese, wie er behauptet, stattdessen auf einer Gesamtzusage beruhen oder zum Inhalt des Arbeitsvertrags geworden sein, gelten – wie dargelegt – andere Grundsätze. Streitgegenstand des Antrags zu 1a. ist allein die Frage, ob das Grundentgelt des Klägers sich noch nach der Analytischen Arbeitsbewertung entsprechend der Betrieblichen Basislohntabelle gemäß der Betriebsvereinbarung vom 31.05.1967 richtet. Dies ist nach dem oben Gesagten zu verneinen, weil die Betriebsvereinbarung vom 31.5.1967 durch die BV Entlohnung/Grundsätze vom 08.06.2017 wirksam abgelöst wurde.

III. Die Kosten des erfolglos gebliebenen Rechtsmittels waren gemäß den §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 97 Abs. 1 ZPO dem Kläger aufzuerlegen.

IV. Die Kammer hat wegen der Entscheidung über die Frage der (normativen) Wirksamkeit einer mit Anscheinsvollmacht abgeschlossenen Betriebsvereinbarung gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ArbGG die Revision zugelassen.

Salchow
Schmidt
Dahmen