Beschäftigungsanspruch im einweiligen Verfügungsverfahren

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19.02.2021 – 8 SaGa 11/20

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz – vom 8. Dezember 2020 – 8 Ga 37/20 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Tatbestand

Die Parteien streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes um die Beschäftigung des Verfügungsklägers (künftig auch: Kläger) im Rahmen seiner Berufsausbildung bei der Verfügungsbeklagten (künftig auch: Beklagte) nach Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung.

Der 1999 geborene ledige Kläger war bei der beklagten Partei (Bundesrepublik Deutschland im Verantwortungsbereich des V.) seit dem 1. November 2018 auf der Grundlage des Berufsausbildungsvertrags vom 29. Oktober 2018 (Bl. 7 ff. d.A) als Auszubildender zum Fluggerätemechaniker in der Fachrichtung Instandhaltungstechnik in der Ausbildungswerkstatt des taktischen Luftwaffengeschwaders XX bei einer Bruttomonatsvergütung von zuletzt 1.068,20 Euro beschäftigt. Im Berufsausbildungsvertrag ist das reguläre Ausbildungsende mit dem 30. April 2022 vorgesehen.

Bei der Beklagten ist ein für den Kläger zuständiger Personalrat gebildet.

Einige Auszubildende der Beklagten bildeten in ihrer Freizeit eine geschlossene Unterhaltungsgruppe auf der Social Media Plattform Snapchat. Der Name dieser [privaten] Gruppe lautete “T.”. Mitglieder dieser Gruppe waren unter anderem der Kläger wie auch Herr D. (geboren am 2000), der ebenfalls Auszubildender der Beklagten ist. Insgesamt hatten etwa 15-18 Auszubildende der Beklagten Zutritt zu dieser Gruppe. Dieser sog. Chatroom war im übrigen nicht-öffentlich und insbesondere die Beklagte hatte keinen Zugang zu diesem Chatroom (Bl. 68 d.A).

Am 23. Mai 2019 stellte der Kläger um 17: 29 Uhr in dieser Snapchat-Gruppe ein Foto des Kollegen D. ein (Bl. 24 d.A), welches diesen aus der Perspektive über dessen rechte Schulter schauend in einem büroartigen Raum vor einem Computerbildschirm sitzend zeigt, mit dem linken Ellenbogen auf dem Tisch, den Kopf aufgestützt auf der linken Hand, den Blick gerichtet auf den Bildschirm, welcher einige geöffnete Programmfenster erkennen lässt, die rechte Hand auf dem Schreibtisch neben der Computertastatur [außerhalb der Abbildung, mutmaßlich mit der Computermaus arbeitend] – dies alles mit der Bildunterschrift versehen: “Technigga”.

Herr D. hat kurze schwarze gekräuselte Haare und ist von dunklerer Hautfarbe.

Der Kläger ist – ebenso wie Herr D. – von dunklerer Hautfarbe; er ist Halb-Philipino, Sohn eines Deutschen und einer Philipina. Zwischen dem Kläger und Herrn D. bestand keinerlei Streit; die jungen Herren sind vielmehr befreundet.

Herr D. wurde nach seiner Schilderung gegenüber der Beklagten von anderen Auszubildenden aufgrund seiner Hautfarbe und einer Augenfehlstellung seit Beginn der Ausbildung diffamiert und schikaniert. Er wandte sich deshalb im August 2020 an die Jugendvertretung, die sein Anliegen an den Ausbildungsleiter weitergab.

Die Klassensprecherin des Ausbildungsjahrgangs, Frau K. L. H., zeigte gegenüber der Beklagten an, dass der Kläger sich in dem (privaten) Gruppenchat “T.”über Herrn D. lustig gemacht habe und als sich Frau H. für den Mitauszubildenden eingesetzt habe, diese imitiert und verächtlich gemacht habe.

Am 4. September 2020 führte die Beklagte ein Personalgespräch mit dem Kläger wegen des Snapchat-Fotos, in welchem der Kläger – nach sensibler Gesprächseröffnung seitens der Beklagten – gebeten wurde, sich zu dem erwähnten Foto und der Bildunterschrift “Technigga”zu äußern. Auch angesichts eines Hinweises auf arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zur außerordentlichen Kündigung führte der Kläger aus, “das gegenseitige Beleidigungen unter den Auszubildenden heutzutage normal”seien (Bl. 21 d.A).

Dem Kläger wurde von der Beklagten sodann Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme gegeben.

Mit Schreiben vom 7. September 2020 wies der Kläger den Vorwurf der beleidigenden, schikanierenden und rassistischen Äußerungen über einen längeren Zeitraum gegenüber einem Mitauszubildenden und die Einstufung als extremistisches Fehlverhalten “auf das Schärfste”zurück und betonte, dass er sich immer an die freiheitlich-demokratische Grundordnung halte und keinerlei extremistische Handlungen unterstütze. Er teilte mit, dass er wie auch der betroffene Kollege von dem Vorwurf der Beklagten sehr überrascht gewesen seien und zwischen beiden ein freundschaftliches Verhältnis bestehe. Des weiteren sei der Kläger von der JAV nicht allein zu den Vorwürfen angehört, sondern auch dahingehend befragt worden, ob ihm gegenüber angesichts seiner ethnischen Herkunft ebenfalls diskriminierende oder beleidigende Ausdrücke gebraucht worden seien (näher Bl. 30 d.A).

Herr D. und Frau H. verfassten unter dem 8. September 2020 ein an die Beklagte gerichtetes gemeinsames Schreiben, in dem es auszugsweise heißt (Bl. 25 ff. d.A):

“Aufforderung zu schriftlicher Stellungnahme: D.Sehr geehrte Damen und Herren !Mit Ihrem Schreiben vom 03.09.2020 welches ich am 04.09.2020 empfangen habe, wurde Ich, D., darum gebeten bis zum 09.09.2020 eine schriftliche Stellungnahme bezüglich eines Vorwurfs gegen mehrere Mitauszubildende zu verfassen. Nachfolgend finden Sie eine Auflistung der betroffenen Auszubildenden und meine persönliche Einschätzung der Situation zu den einzelnen Personen.Gegen A. hege ich folgenden Vorwurf: Er postete ein Bild von mir auf der Social Media Plattform Snapchat mit der rassistischen Äußerung “Technigga”, welches ein rassistisches Wortspiel aus den Wörtern Techniker und Nigga sein soll. Trotzdem fühle ich mich von A. dennoch nicht gemobbt. Er verhielt sich mir gegenüber stets neutral, abgesehen von diesem einen rassistischen Posting.[…]Aufforderung zur Stellungnahme: K. L. H.Mir ist das Mobbing gegen D. verstärkt im 2. Lehrjahr aufgefallen. Schlimm fand ich es vor allem, dass D. sobald er morgens auf den Parkplatz gefahren kam, von mehreren Personen aus unserem Lehrjahr auf Schritt und Tritt beobachtet wurde. Jede Gestik und Mimik, die ihnen komisch erschien wurde ausgelacht, gefilmt, fotografiert und nachgeäfft. Diese Imitationen führten sogar zu richtigen Insidern innerhalb des Lehrjahres. Von D. wurden Bilder und Videos auf der Social Media Plattform Snapchat erstellt und dies obwohl er deutlich gesagt hatte, dass er dies nicht möchte.Personen die Bilder und Videos von D. vermehrt erstellt haben sind: […]Dazu möchte ich jedoch anmerken, dass Videos und Bilder von allen mit Azubis gemacht wurden. D. hatte jedoch klargestellt, dass er dies nicht möchte.An einem Tag wurde D. sogar in dem Gruppenchat der “T.”angegriffen, mehrere Personen gingen gegen ihn wie z.B.: […]A. hat über die Auseinandersetzung gelacht und […] hat aus Belustigung diesen Chat in der Gruppe gespeichert. Die Auseinandersetzung endete erst als ich eingeschritten bin, worauf hin sich D. sogar bei mir bedankte.Das war nicht das einzige Mal, dass ich für D. eingestanden bin. Mehrfach hatte ich […] gebeten ihre unangebrachten, verletzende Kommentare einzustellen. Dies hatte aber leider nur eine kurzfristige Wirkung. Irgendwann wurde ich sogar von M. A. scheinbar spaßhaft nachgeäfft, weil ich mich für D. eingesetzt hatte.[…]”

Im Ergebnis der Sachverhaltsaufklärung wurden am 14. September 2020 die gesetzlichen Beteiligungsverfahren zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Klägers aus wichtigem Grund eingeleitet. Die Gleichstellungsbeauftragten der Beschäftigungsdienststelle und der personalbearbeitenden Dienststelle des B.zentrums erhoben gleichermaßen wie der zuständige örtliche Personalrat innerhalb der Fristen keine Einwände (Bl. 21 d.A).

Mit Schreiben vom 21. September 2020 (Bl. 5 d.A), dem Kläger zugegangen am selben Tag, erklärte die Beklagte die außerordentliche Kündigung des Ausbildungsverhältnisses. In dem Kündigungsschreiben heißt es zu den Kündigungsgründen (Bl. 5 d.A):

“Nach den mir vorliegenden Unterlagen und den übereinstimmenden Zeugenaussagen haben Sie auf der Social Media Plattform Snapchat am 23.05.2019 um 17.29 Uhr ein Foto des Auszubildenden D. mit der rassistischen Äußerung ,Technigga'(rassistisches Wortspiel aus den Wörtern ,Techniker’und ,Nigga’gepostet.Zudem haben sie sich im Gruppenchat ,T.’über Herrn D. lustig gemacht. Als daraufhin die Auszubildende und Klassensprecherin K. L. H. sich für Herrn D. eingesetzt und Sie um Unterlassung Ihres Fehlverhaltens gebeten hat, haben Sie diese imitiert.[…]Innerhalb der B. wird Rassismus nicht geduldet und es besteht keine Toleranz bezüglich solcher Verfehlungen […].Indem sie eine ernsthafte und nachhaltige Diffamierung anderer Ethnien vorgenommen haben, haben sie gegen die Leitlinien der B. als auch gegen ihre Verpflichtung, sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu bekennen, verstoßen.”

Hiergegen wandte sich der Kläger mit der beim Arbeitsrecht Koblenz eingereichten Kündigungsschutzklage unter dem Aktenzeichen – 8 Ca 3327/20 -; Gütetermin war auf den 2. Februar 2021 bestimmt worden.

Mit seinem Eilantrag vom 24. November 2020, der am selben Tag beim ArbG Koblenz einging, forderte der Kläger “die Fortsetzung des Ausbildungsvertrags”bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung im Kündigungsschutzverfahren.

Mit seiner eidesstattlichen Versicherung vom 18. November 2020 erklärte der Kläger gegenüber dem Arbeitsgericht unter anderem (Bl. 46 d.A):

“Es ist zutreffend, dass ich dieses Bild gepostet habe. Dies ist aber kein Zeichen einer rassistischen Grundgesinnung. Herr D. ist ein Freund von mir. Wir bezeichnen uns selbst als die “Technigga”, da Herr D. und ich die beiden Mitglieder unseres Jahrgangs mit der dunkelsten Hautfarbe sind. Ich bin selbst nichtdeutscher Herkunft, ich bin in G., Indien geboren. Mein Vater ist deutscher Herkunft, meine Mutter ist philippinischer Herkunft. Es existiert eine Version des fraglichen Bildes, das uns beide zeigt. Die Unterschrift “Technigga”war eine witzige Bezeichnung für uns. Ich habe mir über den Hintergrund des Wortes “Nigga”keine Gedanken gemacht, es stand für mich mehr im Zusammenhang mit zeitgenössischer Hiphop Kultur als mit den historischen/rassistischen Fakten.[…]Soweit ich den Sachverhalt nachvollziehen konnte, wandte sich Herr D. wegen Mobbings an den Dienstvorgesetzten Herrn K., den Ausbildungsleiter. […] Herr D. benannte mich hierbei nicht. Herr K. und weitere Mitarbeiter […] befragten dazu auch die Klassensprecherin Frau H.. Soweit ich weiß, brachte erst sie mich in Zusammenhang mit den Mobbingvorwürfen.”

Mit der Klageschrift vorgelegt wurde zugleich eine Kopie der eidesstattlichen Versicherung des Herrn D. vom 21. November 2020, in der es auszugsweise heißt (Bl. 12 d.A):

“Herr A. war nicht Teil dieses rassistischen Mobbings. Ich habe ihn auch nicht gegenüber der Ausbildungsleitung in diesem Zusammenhang benannt. Herr A. und ich sind bis zum heutigen Tage befreundet.Ich weiß nicht wieso Herr A. in den Vorwürfen des rassistischen Mobbings impliziert wurde, ich vermute […]Ich weiß, dass Herr A. ein Bild, das mich zeigt, mit der Unterschrift “Technigga”in der WhatsApp/Snapchat-Gruppe des Jahrgangs gepostet hat. Dies habe ich als ,schwarzen Humor’empfunden. Es kam mir nicht in den Sinn, dass es einen rassistischen Hintergrund gehabt haben könnte. […] Herr A. und ich haben eine derbere Alltagssprache miteinander. Es war für mich nicht verletzend.Ich halte Herrn A. nicht für einen Rassisten.”

Der Kläger hat vorgetragen:

Die besondere Eilbedürftigkeit der Sache ergebe sich aus dem langsamen Fortschritt des Hauptverfahrens. Nach § 43 Abs. 1 BBiG werde zur Abschlussprüfung nur zugelassen, wer die Ausbildungszeit zurückgelegt habe. Nach der aktuellen Rechtsprechung stünden Fehlzeiten von mehr als 10 % der Ausbildungszeit dem entgegen. Ende Februar 2021 sei dieser Schwellenwert erreicht, weil die Ausbildungszeit des Klägers – insoweit unstreitig – 42 Monate betrage.

Vom Kläger gehe keinerlei Störung des Betriebsfriedens aus. Komme das Arbeitsgericht zu dem Schluss, dass die Kündigung wirksam sei, sei der Kläger aus dem Ausbildungsverhältnis zu entfernen. Komme es aber zur gegenteiligen Auffassung, so bestünde das Ausbildungsverhältnis zwar fort, jedoch sei das Erreichen des Ausbildungsziels dann ernsthaft gefährdet.

Es sei unklar, wieso der Kläger “ins Fadenkreuz”der Ausbildungsleitung gerückt sei (Bl. 3 d.A). Die in der Kündigung gemachten Vorwürfe schössen offensichtlich deutlich über das Ziel hinaus (Bl. 4 d.A). Der Kläger habe ein Bild gepostet, welches von der Ausbildungsleitung als rassistisch interpretiert worden sei.

Die mit der Kündigung verbundene Aussetzung seiner Berufsausbildung bis zum Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens benachteilige den Kläger unbillig.

Der Kläger hat beantragt:

“Das Ausbildungsverhältnis zwischen Antragsteller und Antragsgegnerin wird nach den Bedingungen des Ausbildungsvertrages vom 29.10.2018 fortgesetzt, bis es eine rechtskräftige Entscheidung im Hauptsacheverfahren 8 Ca 3327/20 vorliegt.”

Die Beklagte hat beantragt:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat vorgetragen:

Es bestehe bereits kein Anordnungsanspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens. Ein solcher sei nur gegeben, wenn die Kündigung offensichtlich unwirksam sei.

Für den Kläger spreche zwar, dass er sich bereits im 3. Lehrjahr befinde. Das Wort “Nigger”sei jedoch ein rassistisches Schimpfwort und die Schreibweise “Nigga”stelle insoweit eine noch schärfere Diskriminierung dar.

Der Kläger sei nach Abschnitt 4.4 seines Berufsausbildungsvertrags verpflichtet, die für die Ausbildungsstätte geltende betriebliche Ordnung zu beachten.

Dabei dürfe nicht verkannt werden, dass für den Arbeitgeber B. als Organ der Bundesrepublik Deutschland eine Vorbildfunktion bestehe. Der rassistische Wertgehalt der Äußerungen und Handlungen könne von der B. unter Berücksichtigung des hiesigen Werte- und Menschenbildes und der Außenwirkung nicht toleriert werden.

Sofern sich Herr D. durch die Äußerung des Klägers nicht verletzt fühle, sei dies erfreulich. Dennoch verbleibe die durch das gepostete Bild dargestellte Außenwirkung.

Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei – insoweit unstreitig – gewahrt, weil die Erforschung des Sachverhalts erst nach abschließender Stellungnahme am 9. September 2020 abgeschlossen gewesen sei.

Mit Nichtwissen werde bestritten, dass ein Zuwarten bis zum Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens das Ausbildungsziel gefährde. Bei den vom Kläger erwähnten 10 % Fehltagen handele es sich lediglich um eine teilweise von der Rechtsprechung genannte Orientierung. Dennoch sei in jedem Einzelfall zu prüfen, inwieweit das Ausbildungsziel durch Fehltage gefährdet sei. Es stehe dem Kläger frei, die Berufsschule zu besuchen (Bl. 23 d.A).

Nach Auskunft seines Ausbildungsleiters bestünde für den Kläger jedenfalls die Möglichkeit, sollte er nicht weiter beschäftigt werden, mit einem Jahr Verspätung das Ausbildungsziel noch zu erreichen (Bl. 42 d.A).

Mit Urteil vom 8. Dezember 2020 – 8 Ga 37/20 – hat das Arbeitsgericht Koblenz den Antrag abgewiesen.

Zur Begründung hat es – zusammengefasst – ausgeführt:

Es fehle bereits am Verfügungsanspruch. Die Grundsätze des Großen Senats in der Entscheidung vom 27. Februar 1985 – GS 1/84 – seien für die Weiterbeschäftigung in einem Arbeitsverhältnis ergangen, aber auf das Berufsausbildungsverhältnis ebenso anzuwenden.

Für eine Abwägung zwischen dem Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers und dem Interesse an der Nichtbeschäftigung durch den Arbeitgeber bestehe immer dann kein Anlass, wenn die Kündigung offensichtlich unwirksam sei, weil sie keine Rechtswirkungen entfalte.

Rassistische Äußerungen gegenüber Arbeitskollegen seien an sich geeignet einen außerordentlichen Kündigungsgrund darzustellen. Ob die Kündigung des Klägers rechtswirksam sei, könne nicht Gegenstand des einstweiligen Verfügungsverfahrens sein. Hier sei nur zu prüfen, ob die Kündigung offensichtlich unwirksam sei. Das sei der Fall, wenn die Wertung der Beklagten von vornherein unvertretbar erscheine und unter keinem rechtlichen Aspekt Bestand haben könne.

Wie es die Wertung des § 22 AGG zum Ausdruck bringe, sei die schlichte Kombination aus dem visuellen Merkmal des Opfers (dunkler Hautfarbe) und der diskriminierenden Facette “Nigger”dem Grunde nach geeignet, ein rassistisches Begriffspaar darzustellen.

Dass der Verfügungskläger darauf hinweise, dass Herr D. sich nicht beleidigt gefühlt habe und dass dies Jugendsprache sei, mache dies nicht besser. Mit dieser Stellungnahme habe der Verfügungskläger vielmehr deutlich gemacht, dass es sich nicht um ein Spontanversagen und um eine traurige Entgleisung oder einen bedauernswerten Ausrutscher gehandelt habe, sondern um eine Manifestation eines Umgangstons. Die Kammer habe im Eilverfahren nicht zu prüfen, ob dies tatsächlich Ausdruck einer rassistischen Grundeinstellung sei.

Unwidersprochen habe die Beklagte darauf hingewiesen, dass der Kläger sich für sein Verhalten nicht entschuldigt habe. Im Rahmen der hier nur summarischen Prüfung müsse festgehalten werden, dass jedenfalls nicht von einer offensichtlich unwirksamen Kündigung auszugehen sei, weshalb ein vorläufiger Weiterbeschäftigungsanspruch ausgeschlossen sei.

Etwas anderes könne nur dann gelten, wenn bei Unterbrechung der Ausbildung dem Kläger so schwerwiegende Nachteile drohten, dass diese das Interesse der Beklagten an der Nichtbeschäftigung des Klägers überwögen.

Unbestritten habe der Kläger vorgetragen, seine Ausbildung nicht innerhalb der ursprünglichen Ausbildungszeit beenden zu können, falls er mehr als 10 % Fehltage aufweise. Dass sich damit seine Ausbildungszeit nicht unwesentlich nach hinten verschieben dürfte, sei ein schwerwiegendes Interesse des Klägers an seiner tatsächlichen Beschäftigung. Gleichwohl erscheine der Kammer dies nicht unverhältnismäßig, weil die erhobenen Vorwürfe einen außerordentlichen Kündigungsgrund darstellen könnten. Erschwerend komme hinzu, dass es sich bei dem vorgeworfenen Verhalten nicht um außerdienstliches Verhalten handele, es vielmehr während der Ausbildungszeit erfolgt sei und sich zudem gegen einen Mitauszubildenden gerichtet habe. Damit habe das Verhalten des Klägers direkte Auswirkungen auf den Ausbildungsbetrieb.

Dass Herr D. sich nicht beleidigt gefühlt habe, ändere an dieser Wertung nichts. Die dargestellte “Außenwirkung”verbleibe dem Bild.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe seines Urteils Bezug genommen (Bl. 47 ff. d.A).

Gegen das ihm am 17. Dezember 2020 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat der Kläger mit Schriftsatz vom 21. Dezember 2020, beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingegangen am selben Tag, Berufung eingelegt und diese zugleich begründet.

Zur Begründung der Berufung trägt er im wesentlichen vor:

Das Arbeitsgericht habe den im Eilverfahren anzulegenden Prüfungsmaßstab verkannt. Das Gericht habe oberflächlich zu prüfen, ob die Kündigung zulässig sei. Eine Beschränkung allein auf die Frage, ob das Bild als rassistisch verstanden werden könne, sei dadurch nicht geboten. Das Arbeitsgericht verkenne auch den besonderen Kündigungsschutz aus § 22 BBiG zugunsten der Auszubildenden. Zulässig sei nicht schon eine ordentliche Kündigung und auch eine außerordentliche Kündigung nur nach Ausschöpfung aller pädagogischen Mittel und der Einschaltung des gesetzlichen Vertreters.

Das dem Kläger vorgeworfene Verhalten unterscheide sich ganz erheblich von rassistischen Straftaten, etwa im Urteil des BAG (1. Juli 1999 AP BBiG § 15 Nr. 11) oder des LAG Berlin (22. Oktober 1997 NZA-RR 1998, 442 [LAG Berlin 22.10.1997 – 13 Sa 110/97]). Im Fall des Klägers könne von grober Beleidigung oder dem Verbreiten neonazistischen Gedankenguts keine Rede sein. Der Begriff “Technigga”sei gesetzlich nicht verboten. Es sei verboten, zu beleidigen, herabzusetzen oder zu diskriminieren. Dies habe sich der Kläger unbestrittenermaßen nicht zuschulden kommen lassen.

Die Beklagte habe auch ihre pädagogischen Pflichten gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 5 BBiG nicht erfüllt. Der Ausbilder müsse dafür sorgen, dass der Auszubildende charakterlich gefördert werde. Die Beklagte habe den Kläger aber sogleich außerordentlich gekündigt, anstatt ein Sensibilitätstraining zu verordnen oder eine Abmahnung auszusprechen.

Soweit dem Kläger bekannt, habe die Beklagte gegenüber allen von Herrn D. in dessen Stellungnahme genannten Auszubildenden des Jahrgangs die Kündigung erklärt. Herr D. habe sich aber stets bemüht, den Kläger aus der Schusslinie zu nehmen und ausdrücklich betont, dass er sich von diesem nicht gemobbt gefühlt habe und der Kläger ihm gegenüber stets neutral gewesen sei.

Zudem handele es sich um einen einmaligen Vorgang. Der Kläger habe – insoweit unstreitig – seit Mai 2019 nichts vergleichbares gepostet.

Das Arbeitsgericht lasse außer acht, dass es sich um eine außerdienstliche Äußerung handele, denn sie sei – unstreitig – am 23. Mai 2019 gegen 17: 29 Uhr in dem von dem Jahrgangskollegen organisierten, nicht-öffentlichen Snapchatroom getätigt worden. Insbesondere habe – unstreitig – der Arbeitgeber keinen Zugriff auf diesen Chatroom gehabt, sondern allein die 15-18 Auszubildenden.

Die vom Arbeitsgericht Koblenz herangezogene Entscheidung des LAG Köln (6. Juni 2019 – 4 Sa 18/19 -) sei nicht einschlägig, weil dort die rassistische Beleidigung (“ugah, ugah”) in einem erhitzten Moment ausgesprochen worden sei, um zu kränken und herabzuwürdigen. Das sei vorliegend aber nicht der Fall. Das Derivat des Wortes “Nigga”möge zwar ein rassistisches Begriffspaar darstellen, der Kläger habe es jedoch als “Meme”gedacht; es habe witzige Wirkung entfalten sollen. Entscheidend sei der Kontext und der Kontext sei hier unproblematisch gewesen.

Das Arbeitsgericht habe zwar erkannt, dass es sich um einen harmlosen Kontext ohne Beleidigung gehandelt habe. Es habe darin aber die Manifestation eines Umgangstons erkannt und damit nicht mehr über den Sachverhalt selbst gerichtet, sondern über den Umgangston, den der Kläger im privaten mit seinen Freunden führe.

Der historisch höchst beladene Begriff “Nigger”sei in seiner Natur und der Schwere der Beleidigung schwierig zu bewerten. Er werde von Amerikanern afrikanischer Abstammung regelmäßig verwendet, um sich selbst und einander zu beschreiben. Diese Kultur halte auch bei uns Einzug. So schreibe die Bundesprüfstelle für Jugend gefährdende Medien in ihrem Report zur Hip-Hop Musik 2018:

“Dagegen verneinen die Gremien ein Anreizen zum Rassenhass aufgrund der alleinigen Verwendung der Worte “Neger”oder “Nigger”ohne weitere Diskriminierungen. Die Besitzerinnen und Besitzer folgten insoweit der Argumentation der Interpreten, die zum Teil selbst dunkle Hautfarbe haben. Sie verwenden diese Ausdrücke gegenüber anderen Rappern als Anlehnung an die amerikanische Hip-Hop-Szene. Hier bezeichnen sich Schwarze gegenseitig häufig als Nigger, ohne dass dies eine rassistische Komponente beinhaltet.”

Es sei zu berücksichtigen, dass der Kläger selbst geborener Halb-Philipino sei und über einen dunkleren Hautteint verfüge. Ohne die Komponente der Beleidigung seien die gemachten Vorwürfe aber haltlos.

Der Kläger beantragt:

1.”Das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz 8 Ga 37/20 wird aufgehoben.2.Im Wege der einstweiligen Anordnung wird verfügt, dass das Ausbildungsverhältnis zwischen Verfügungskläger und Verfügungsbeklagte nach den Bedingungen des Ausbildungsvertrages vom 29.10.2018 fortgesetzt wird, bis es eine rechtskräftige Entscheidung im Hauptsacheverfahren 8 Ca 3327/20 vorliegt.”

Die Beklagte beantragt,

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Zur Verteidigung gegen die Berufung des Klägers wiederholt und vertieft die Beklagte ihr erstinstanzliches Vorbringen und verteidigt im übrigen die Entscheidung des Arbeitsgerichts.

Es fehle bereits am Verfügungsgrund, weil der Kläger vom Ausspruch der außerordentlichen Kündigung am 15. September 2020 bis zum Eilantrag am 24. November 2020 mehr als zwei Monate zugewartet habe. Damit habe der Kläger selbst die Eilbedürftigkeit widerlegt.

Als Auszubildender der B. sei der Kläger auch außerhalb der Dienstzeiten zum Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes verpflichtet und dürfe sich nicht rassistisch, ausländerfeindlich und diskriminierend über seine Mitmenschen äußern.

Wegen des Sach- und Streitstands im übrigen wird auf den gesamten Akteninhalt, insbesondere auf die Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet.

A. Die Berufung des Klägers ist zulässig.

I. Die Berufung des Verfügungsklägers ist gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. b ArbGG statthaft. Sie ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519 Abs. 1 und 2, 520 Abs. 1 und 3 ZPO in der gesetzlichen Form und Frist durch anwaltlichen Schriftsatz eingelegt und begründet worden.

II. Der angekündigte Berufungsantrag bedarf der Auslegung, weil die abstrakte “Fortsetzung”des Ausbildungsverhältnisses allein das Rechtsschutzziel des Klägers – tatsächliche praktische Berufsausbildung – nicht angemessen wiederspiegeln dürfte. Es war vielmehr anzunehmen, dass sich sein Begehren von Anfang an auf die tatsächliche Beschäftigung im Rahmen der Berufsausbildung gerichtet hat, wie sich auch seinem erstinstanzlichen Hinweis auf die Vermeidung von Fehltagen in der tatsächlichen Ausbildung entnehmen ließ. Der so verstandene Beschäftigungsantrag ist hinreichend bestimmt und nennt insbesondere die begehre Tätigkeit zumindest rahmenmäßig, § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.

Nicht im Wege der Auslegung des zeitlich nicht weiter begrenzten Antrags, sondern als Frage der Begründetheit ist zu untersuchen, ob die begehrte Verfügung in zeitlicher Hinsicht bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens beschränkt werden kann oder ob sie nicht vorrangig beschränkt sein muss auf den Zeitpunkt des Ausbildungsendes, etwa in folgender Antragsfassung:

Der beklagten Partei wird aufgegeben, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens vor dem Arbeitsgericht Koblenz – 8 Ca 3327/20 – als Auszubildenden im Ausbildungsberuf Fluggerätemechaniker in der Fachrichtung Instandhaltungstechnik, längstens jedoch bis zur Bekanntgabe des Ausbildungsergebnisses durch den Prüfungsausschuss, weiter zu beschäftigen

B. Die Berufung ist aber unbegründet.

Aufgrund des nur eingeschränkten Prüfungsmaßstabs im Eilverfahren hat das Arbeitsgericht den im obigen Sinne auszulegenden Beschäftigungsantrag des Klägers zu Recht abgewiesen.

Der gemäß §§ 935940 ZPO iVm. § 62 Abs. 2 Satz 1 ArbGG zulässige Antrag ist unbegründet, ohne dass es auf das Bestehen eines Verfügungsgrunds (§§ 936917 Abs. 1, 918 ZPO) ankam. Es fehlt bereits am Verfügungsanspruch (§§ 936916 Abs. 1 ZPO).

I. Von dem im ungekündigten Arbeitsverhältnis bestehenden allgemeinen Beschäftigungsanspruch zu unterscheiden ist der Weiterbeschäftigungsanspruch innerhalb eines in seinem rechtlichen Bestand umstrittenen Arbeitsverhältnis nach Ausspruch einer Kündigung (dazu grundlegend BAG 27. Februar 1985 – GS 1/84 -). Mit dem Beendigungstermin endet grundsätzlich das Recht des Arbeitnehmers auf Beschäftigung. Das BAG erkennt damit ein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers an, die Kündigung praktisch zu vollziehen. Dieses Interesse muss jedoch zurücktreten, wenn die gerichtliche Prüfung erster Instanz zu dem Ergebnis kommt, dass die Kündigung unwirksam ist. Deshalb kann der Arbeitnehmer seinen Weiterbeschäftigungsanspruch auch schon vor dem rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens gerichtlich verfolgen, indem er erstinstanzlich für den Fall des Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag seine Weiterbeschäftigung begehrt (vgl. BAG 27. Februar 1985 – GS 1/84 – zu B II 3 der Gründe). Diese Grundsätze gelten als Mindeststandard auch für Berufsausbildungsverhältnisse (BAG 11. August 1987 – 8 AZR 93/85 – zu I 1 c der Gründe).

Vor Erlass einer erstinstanzlichen Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag gilt das aber nach der Rechtsprechung des BAG nur mit Einschränkungen. In diesem Zeitraum setzt sich das Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers dann nicht mehr gegen das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers durch, wenn die Kündigung offensichtlich unwirksam war, weil eine derart unwirksame Kündigung keine Rechtswirkungen entfaltet. Die Interessenlage der Arbeitsvertragsparteien entspricht dann derjenigen im ungekündigten Arbeitsverhältnis (BAG 27. Februar 1985 – GS 1/84 – zu B II 3 a der Gründe).

Mit dieser Rechtsprechung des Großen Senats des BAG wurde auch die Prüfungsdichte im Eilverfahren modifiziert (vgl. LAG Köln 26. November 1985 – 1 Sa 975/85 – NZA 1986, 136). Im Eilverfahren erfolgt grundsätzlich ebenso wie im Hauptsacheverfahren eine volle Rechtsprüfung (iura novit curia; Vollkommer in: Zöller 33. Aufl. ZPO § 922 Rn. 7 mwN, § 935 Rn. 7 mwN). Allein in tatsächlicher Hinsicht ist das Gericht auf eine summarische Sachprüfung beschränkt, indem wegen der Eilbedürftigkeit des Verfahrens insbesondere die Beweisführung erleichtert ist (vgl. §§ 920 Abs. 2 iVm. 294, 921936 ZPO; Vollkommer in: Zöller 33. Aufl. ZPO Vor § 916 Rn. 1b, 3, § 935 Rn. 8). Mit der Rechtsprechung des Großen Senats ist die Rechtsprüfung vor Erlass eines erstinstanzlichen Urteils über den Bestand des Arbeitsverhältnisses gleichwohl darauf beschränkt, nur offensichtliche Rechtsmängel der Kündigung zu berücksichtigen.

Eine einstweilige Verfügung auf Weiterbeschäftigung kommt deshalb vor Erlass einer erstinstanzlichen Entscheidung über die streitige Kündigung nur in Betracht im Fall einer offensichtlich unwirksamen Kündigung und wenn zugleich besondere schutzwürdige Belange des Arbeitnehmers vorliegen, die das Interesse des Arbeitgebers an einer Nichtbeschäftigung im Einzelfall zurücktreten lassen. Beide Voraussetzungen müssen im Eilverfahren kumulativ erfüllt sein, denn das Bestehen eines Weiterbeschäftigungsanspruchs genügt noch nicht als Verfügungsgrund (MünchKomm-ZPO/Drescher 6. Aufl. § 935 Rn. 130 mwN).

1. Eine offensichtlich unwirksame Kündigung, die einen Verfügungsanspruch begründet, liegt nach der Rechtsprechung des Großen Senats vor, wenn sich schon aus dem eigenen Vortrag des Arbeitgebers ohne Beweiserhebung und ohne dass ein Beurteilungsspielraum gegeben wäre, jedem Kundigen die Unwirksamkeit der Kündigung geradezu aufdrängen muss. Die Unwirksamkeit der Kündigung muss also ohne jeden vernünftigen Zweifel in rechtlicher und in tatsächlicher Hinsicht offen zu Tage liegen. Das ist der Fall, wenn bei feststehendem Sachverhalt die Rechtsfolge der Unwirksamkeit oder Nichtigkeit der Kündigung unzweifelhaft ohne jeden Beurteilungsspielraum des Tatsachenrichters sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Nur bei einem solchen Verständnis des Begriffs der offensichtlich unwirksamen Kündigung ist es gerechtfertigt, diese Kündigung für die Interessenabwägung unberücksichtigt zu lassen und für den Beschäftigungsanspruch davon auszugehen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien fortbesteht (BAG 27. Februar 1985 – GS 1/84 – zu C II 3 a der Gründe; LAG Hamm 14. September 2011 – 6 SaGa 16/11 – zu I 2.1 der Gründe, juris).

2. Für das als Verfügungsgrund zusätzlich erforderliche überwiegende Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers können nur solche Umstände in Betracht kommen, die während des unangefochtenen Bestands des Arbeitsverhältnisses das ideelle Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers (§ 242 BGB, Artt. 1 und 2 GG – Persönlichkeitsschutz) noch verstärken, wie zB die Geltung in der Berufswelt, die Ausbildung oder die Erhaltung von Fachkenntnissen (LAG Rheinland-Pfalz 24. Juni 2015 – 4 SaGa 2/15 – zu II der Gründe, juris; ArbG Kiel 30. Dezember 2009 – 1 Ga 34 a/09 – zu B I 1 der Gründe, BeckRS 2010, 66185; BAG 8. April 1988 – 2 AZR 777/87 – zu II 3 b der Gründe; BAG 27. Februar 1985 – GS 1/84 – zu C I 3 b der Gründe).

3. Dieser in rechtlicher Hinsicht stark zurückgenommene Prüfungsmaßstab, der sich aus der gebotenen Interessenabwägung für die Zeit der Ungewissheit über den Bestand des Arbeitsverhältnisses erklärt (BAG 27. Februar 1985 – GS 1/84 -), wurde in der Rechtsprechung verschiedener Instanzgerichte für das Eilverfahren als nicht allen Einzelfallen angemessen erachtet. Der Große Senat hatte allerdings in dem genannten Beschluss ausdrücklich nicht zu den Besonderheiten des Eilverfahrens Stellung genommen (BAG 27. Februar 1985 – GS 1/84 – zu B 3 der Gründe), sondern ausschließlich die erstinstanzliche Entscheidung über den Beschäftigungsanspruch im Kündigungsschutzprozess als Ergebnis einer Interessenabwägung geprüft.

a) So hat das LAG Köln (26. November 1985 – 1 Sa 975/85 – NZA 1986, 136) schon sehr frühzeitig die Auffassung vertreten, die vom Großen Senat herausgearbeitete Interessenabwägung sei keine absolute, vielmehr könne ein Weiterbeschäftigungsanspruch – neben dem Fall einer offensichtlich unwirksamen Kündigung – auch dann bestehen, wenn der Arbeitnehmer eine atypische Interessenlage glaubhaft mache, die zur Anerkennung des Weiterbeschäftigungsanspruchs des Arbeitnehmers führen könne (so auch Schäfer NZA 1985, 691 unter Hinweis auf BAG GS 27. Februar 1985 – GS 1/84 – zu C II 3 b der Gründe). Dabei müsse es sich um wirklich gravierende Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers handeln, die über die Belastungen durch die Tatsache der vorübergehenden Nichtbeschäftigung als solche hinausgehen. Sie seien vom Großen Senat bereits gewichtet worden. Ob und wann solche Voraussetzungen vorlägen, könne nur im Einzelfall entschieden werden. Als denkbare Gründe kämen die Erhaltung und Sicherung der Qualifikation des Arbeitnehmers in Betracht.

Auch das ArbG Kiel hat diese Auffassung vertreten. Für den Fall eines im dritten Lehrjahr kurz vor dem Prüfungstermin gekündigten Auszubildenden schlägt es vor, angesichts des hohen Interesses an der abschließenden Berufsausbildung (Verfügungsgrund) geringere Anforderungen an den Verfügungsanspruch zu stellen und schon eine überwiegend wahrscheinlich unwirksame Kündigung für die Annahme eines Verfügungsanspruchs ausreichen zu lassen (ArbG Kiel 30. Dezember 2009 – 1 Ga 34 a/09 – zu B I 1 der Gründe, BeckRS 2010, 66185 unter Bezugnahme auf vor dem Beschluss des Großen Senats vom 27. Februar 1985 ergangene Rspr. des LAG Rheinland-Pfalz).

b) Hiergegen spricht jedoch, dass der Justizgewährungsanspruch nicht nur für den Anspruchsteller (Gläubiger) gilt, sondern ebenso für den Anspruchsgegner (Schuldner). Er wird primär durch das Hauptsacheverfahren verwirklicht. Die erstinstanzliche Entscheidung im ordentlichen Prozessverfahren vermag deshalb die gebotene Vorklärung des Beschäftigungsanspruchs zu erbringen (BAG GS 27. Februar 1985 – GS 1/84 – zu C II 3 c der Gründe). Für das Eilverfahren gilt das nicht. Indem hier nur eine summarische, kursorische Sachprüfung stattfindet, welche die Anforderung an die gerichtliche Aufklärung des Sachverhalts herabsetzt, und damit die Gewährung rechtlichen Gehörs verkürzt wird, steigt das Risiko rechtlicher Fehlbeurteilung (anschaulich: BAG 10. Dezember 2002 – 1 AZR 96/02 – zu B II 2 der Gründe [einstweilige Verfügung über Zulässigkeit eines Streikziels lässt Verschulden der Gewerkschaft iRd. Schadensersatzprozesses nicht entfallen]) sowie unzutreffender tatsächlicher Annahmen, weil etwa entscheidungserheblicher Sachverhalt nicht vollständig und wahrheitsgemäß vorgetragen wird. Damit erhöht sich die Gefahr, dass die Verfügung, wenn zu Unrecht erlassen oder nicht erforderliche Anordnungen enthaltend, irreversible Nachteile und irreversible Schäden zeitigt (LAG Düsseldorf 1. Juni 2005 – 12 Sa 352/05 – BeckRS 2005, 42328 Rn. 16).

c) Diesen Bedenken Rechnung tragend, kann von dem Erfordernis der offensichtlich unwirksamen Kündigung im Eilverfahren auch dann nicht abgewichen werden, wenn hier – wie in einem Hauptsacheverfahren – der entscheidungserhebliche Sachverhalt von beiden Parteien umfassend dargelegt wurde und unstreitig ist oder – wo er streitig war – insbesondere durch präsente Zeugen dem Strengbeweis im Hauptsacheverfahren gleichwertig erwiesen wurde. Denn damit würde die vom Großen Senat herausgearbeitete Interessenverteilung umgangen, die auch dem Schutz eines rechtsstaatlichen Erkenntnisverfahrens dient. Bis zu einer erstinstanzlichen Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag in einem umfassenden Erkenntnisverfahren in der Hauptsache überwiegt das Interesse des Arbeitgebers am Vollzug der erklärten Kündigung. Das soll nicht durch ein Eilverfahren über das Vorliegen von Kündigungsgründen systematisch konterkariert werden (problematisch deshalb der Ansatz des LAG Bremen 26. Oktober 1982 – 4 Sa 185/82 – zu 1 b der Gründe, AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 26 [Kündigung offensichtlich unwirksam, weil ein wichtiger Grund iSd. § 15 BBiG aF nach umfassender Interessenabwägung “überhaupt nicht ersichtlich”sei]).

II. Bei Anwendung dieser Grundsätze konnte dem Antrag des Verfügungsklägers nicht entsprochen werden. Ein Verfügungsanspruch besteht nicht, denn die angegriffene Kündigung erweist sich nicht ohne Ausübung eines Beurteilungsspielraums als offensichtlich unwirksam. Insbesondere wurden die betrieblichen Gremien (hier: Personalrat) vor Ausspruch der Kündigung beteiligt. Dass diese Beteiligung zB wegen Fristverletzungen offensichtlich unwirksam sei, behauptet der Kläger nicht. Auch die Formalien der Kündigungserklärung wurden gewahrt; insbesondere enthält die schriftliche Kündigung vom 21. September 2020 eine Begründung unter Angabe des behaupteten Kündigungsgrunds, § 22 Abs. 3 BBiG. Auch nach den oben erwähnten Gegenmeinungen wäre kein anderes Ergebnis zu erwarten, denn der Kläger erhielt die Kündigung gegen Ende seines zweiten Lehrjahrs; er befand sich also noch nicht kurz vor dem Prüfungstermin der dreieinhalbjährigen Ausbildung.

Ob der im Kündigungsschreiben behauptete Kündigungsgrund iSd. § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG vorliegt, durfte im Eilverfahren nicht geprüft werden, denn bei dem wichtigen Grund im Sinne dieser Norm handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der Beurteilungsspielräume eröffnet, die dem Erkenntnisverfahren in der Hauptsache vorbehalten bleiben müssen. Das Berufungsgericht ist deshalb im Eilverfahren nicht zur Bewertung des Kündigungsgrunds berufen, auch soweit der Kläger rügt, das Arbeitsgericht habe nicht den vorgetragenen, sondern einen anderen Sachverhalt zugrundegelegt und den Kontext des Postings (auch: Zuweisung einer scheinbar langweiligen und anspruchslosen Arbeit am PC durch die Beklagte) zwischen Jugendlichen in einem privaten, nicht-öffentlichen Chat-Room, zu welchem allein etwa 15 Auszubildende Zugang hatten, nicht angemessen erfasst (vgl. dazu aber BVerfG 24. Mai 2006 – 1 BvR 2031/00 – NJW 2006, 3769/3773, zu B 2 a der Gründe: “Allein für nachträglich an eine Äußerung anknüpfende rechtliche Sanktionen gilt im Interesse der Meinungsfreiheit, insbesondere zum Schutz vor Einschüchterungseffekten bei mehrdeutigen Äußerungen, der Grundsatz, dass die Sanktion nur in Betracht kommt, wenn die dem Äußernden günstigeren Deutungsmöglichkeiten mit hinreichender Begründung ausgeschlossen worden sind.”). Inwiefern man von “Rassismus”sprechen kann, wenn sich zwei Freunde bei unverändert fortbestehender Freundschaft mit Blick auf die abgeforderten Tätigkeiten im Rahmen ihrer Ausbildung scheinbar abschätzig titulieren, aber das vermeintliche “Opfer”sich hierbei überhaupt nicht als solches sieht und dies auch noch “an Eides statt”versichert, oder ob es als Kündigungsgrund ausreichend ist, am Kläger ein Exempel zu statuieren, um den guten Ruf der Beklagten vor dem Missverständnis seitens “der Öffentlichkeit”zu schützen, sie dulde “potentielle Rassisten”in ihren Reihen, muss einer sorgfältigen Prüfung im Erkenntnisverfahren der Hauptsache vorbehalten bleiben.

C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

D. Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben, vgl. § 72 Abs. 4 ArbGG (BAG 22. Januar 2003 – 9 AZB 7/03 -).

Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.

Dr. Bratz
Wäschenbach
Ziegler

Verkündet am: 19.02.2021Vorschriften§ 43 Abs. 1 BBiG, § 626 Abs. 2 BGB, § 22 AGG, § 22 BBiG, § 14 Abs. 1 Nr. 5 BBiG, §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. b ArbGG, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519 Abs. 1, 2, 520 Abs. 1, 3 ZPO, § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, §§ 935940 ZPO, § 62 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, §§ 936917 Abs. 1, 918 ZPO, 916 Abs. 1 ZPO, §§ 920 Abs. 2, 294921936 ZPO, § 242 BGB, § 15 BBiG, § 22 Abs. 3 BBiG, § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG, § 97 Abs. 1 ZPO, § 72 Abs. 4 ArbGG