Geltendmachung Schadensersatz, Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 17.02.2021 – 3 Sa 746/20
Tenor:
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 30.07.2020 – 3 Ca 2356/19 – wird zurückgewiesen.
2. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
3. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin macht gegenüber der Beklagten Schadenersatz nach einer gescheiterten Bewerbung geltend.
Die Beklagte hat mit einer Bewerbungsfrist zum 28.06.2019 eine Stellenausschreibung für mehrere Volljuristinnen und -juristen als Referentinnen und Referenten veröffentlicht. Als zwingendes Anforderungskriterium verlangte sie dabei unter anderem mindestens die Note “befriedigend” im ersten und zweiten Staatsexamen. Die im Jahr 1965 geborene Klägerin bewarb sich mit Schreiben vom 24.06.2019 auf die Stellenausschreibung. Sie hat in B das erste Staatsexamen mit der Note “vollbefriedigend” und das zweite Staatsexamen mit der Note “ausreichend” absolviert.
Mit Schreiben vom 18.10.2019 erteilte die Beklagte der Klägerin eine Absage auf ihre Bewerbung und führte aus, die Bewerbung habe sich im Vorauswahlverfahren nicht durchsetzen können. Mit anwaltlichem Schreiben vom 12.11.2019 machte die Klägerin einen “unmittelbaren Anspruch auf Einstellung” geltend und begehrte jedenfalls eine Neubescheidung der Bewerbung, bei der zu beachten sein dürfte, dass das starre Anforderungskriterium der Note “befriedigend” ohne Berücksichtigung der unterschiedlichen Wertigkeiten der Abschlüsse im bundesweiten Vergleich nicht zulässig sei. Die Beklagte antwortete hierauf mit Schreiben vom 25.11.2019, dass sie das Auswahlverfahren für rechtmäßig halte, das gegenständliche Auswahlverfahren abgeschlossen sei und sämtliche Stellen besetzt worden seien. Die Klägerin hat daraufhin am 17.12.2019 die vorliegende Klage eingereicht.
Sie hat die Auffassung vertreten, dass das Auswahlkriterium der Mindestnote “befriedigend” kein angemessenes Kriterium zur Bestenauslese sei. Sie hat behauptet, dass es zwischen den einzelnen Bundesländern erhebliche Unterschiede in der Benotung der Staatsexamina gäbe, so dass eine einheitliche Notengrenze ermessensfehlerhaft sei. Vielmehr seien Ausgleichmechanismen notwendig, um die unterschiedliche Beurteilung auszugleichen. Dies habe die Beklagte unterlassen.
Die Klägerin hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 100,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2020 zu zahlen,2. die Beklagte zu verurteilen, an sie 100,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.01.2020 zu zahlen,3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr sämtlichen weiteren Schaden zu ersetzen, der ihr durch die Nichteinstellung als Referentin im Bewerbungsverfahren entstanden ist oder entstehen wird.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat das Auswahlkriterium einer bestimmten Notengrenze für zulässig und im Hinblick auf unterschiedliche Prüfungsbedingungen für rechtmäßig erachtet.
Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 30.07.2020 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe bereits keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass sie auch bei einer Nichtberücksichtigung der Notengrenze eingestellt worden wäre. Außerdem habe sie es unterlassen, zur Wahrung des Bewerberverfahrensanspruchs aus Art. 33 Abs. 2 GG gerichtlichen Rechtsschutz einzuholen, sondern habe nach der Absage vom 18.10.2019 vielmehr nahezu einen Monat zugewartet, um ausschließlich durch anwaltliches Schreiben ihren Einstellungsanspruch geltend zu machen. Im Übrigen weist das Arbeitsgericht ergänzend darauf hin, dass es eine einheitliche Notengrenze bei der Ausschreibung von Stellen im öffentlichen Dienst für zulässig hält. Wegen der weiteren Begründung im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils (Bl. 113 ff. d. A.) Bezug genommen.
Gegen dieses ihr am 14.08.2020 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 21.08.2020 Berufung eingelegt und hat diese nach entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist am 20.10.2020 begründet.
Die Klägerin rügt zunächst die Verkennung der Darlegungs- und Beweislastverteilung durch das Arbeitsgericht. Nicht sie habe Anhaltspunkte dafür vortragen müssen, dass sie bei einer Nichtberücksichtigung der Notengrenze eingestellt worden wäre, sondern im Rahmen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast hätte es vielmehr der Beklagten oblegen, die Gründe für ihre Auswahlentscheidung im Einzelnen darzulegen. Erst danach hätte die Klägerin als abgelehnte Bewerberin darzulegen gehabt, warum unter Anlegung des Anforderungsprofils eine Reduktion des dem Arbeitgeber zustehenden Auswahlermessens auf Null vorgelegen habe.
Sie meint weiter, der Schadenersatzanspruch scheitere auch nicht an der lediglich anwaltlichen Geltendmachung mit Schreiben vom 12.11.2019. Es müsse berücksichtigt werden, dass zwischen dem Zugang der Absage am 22.10.2019 und der Absendung des Anwaltsschreibens am 12.11.2019 nur 13 Arbeitstage gelegen hätten und der Prozessbevollmächtigte der Klägerin sich zudem bis zum 29.10.2019 im Urlaub befunden habe. Dass die Beklagte nur wenige Tage nach dem Vorverfahren auch schon das “Hauptverfahren” endgültig abschließen würde, sei nicht vorhersehbar gewesen.
Im Übrigen hält die Klägerin die von der Beklagten angewandte Notengrenze weiterhin für unzulässig. Unter dieser Maßgabe erfülle die Klägerin das Stellenprofil in jeder Hinsicht und sei besser geeignet als die erfolgreichen Bewerber. Das gelte insbesondere im Hinblick auf das zweite zwingende Kriterium der guten Englischkenntnisse. Daneben erfülle sie aber auch alle weiteren “wichtigen Anforderungskriterien”. Schließlich trägt die Klägerin im Einzelnen zur Höhe des von ihr geltend gemachten Schadenersatzanspruchs vor.
Die Klägerin beantragt zuletzt,
1. das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 30.07.2020, Az.:3 Ca 2356/19, abzuändern.2. die Beklagte zu verurteilen, an sie 8.651,26 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 2.917,61 EUR seit dem 01.01.2020, aus je 326,86 EUR seit dem 01.02.2020 und seit dem 01.03.2020, aus 2.202,66 EUR seit dem 01.04.2020 und aus je 575,46 EUR seit dem 01.05.2020, 01.06.2020, 01.07.2020, 01.08.2020 und seit dem 01.09.2020 zu zahlen,3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr sämtlichen weiteren Schaden zu ersetzen, der ihr durch die Nichteinstellung als Referentin im Bewerbungsverfahren entstanden ist oder entstehen wird.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und die weitergehende Klage abzuweisen.
Die Beklagte tritt der erstinstanzlichen Entscheidung bei und hält mit dem Arbeitsgericht die Klägerin für in vollem Umfang darlegungs- und beweispflichtig. Auch unter Berücksichtigung der Grundsätze der abgestuften Darlegungs- und Beweislast fehle es an erforderlichen Darlegungen der Klägerin, da die Beklagte ausreichend zu der Qualifikation der erfolgreichen Bewerber vorgetragen habe. Rein vorsorglich führt sie ergänzend aus, auf die Stellenausschreibung hätten sich insgesamt 72 Personen beworben, von denen 57 Personen die zwingenden Anforderungskriterien erfüllt hätten. Aus diesen verbleibenden Bewerbern sei auf der Grundlage der “wichtigen Anforderungskriterien” eine weitere Vorauswahl getroffen worden. Die bestbewerteten 26 Kandidaten seien sodann zu Vorstellungsgesprächen eingeladen worden. Diese Vorstellungsgespräche seien in vier Teile gegliedert worden: Einen allgemeinen Teil (Vorstellung, Darlegung der Motivation), einen fachlichen Teil (Fragen zur Beklagten, zur Bundesregierung sowie zur Verwaltung, Staatsorganisationsrecht und Europarecht), einen außerfachlichen Teil (zwei Szenarien zu persönlichen Kompetenzen) sowie einen praktischen Teil (Präsentation eines zur Verfügung gestellten Vortrags). Auf dieser Grundlage seien aus dem streitgegenständlichen Bewerbungsverfahren insgesamt sieben Kandidaten eingestellt worden. Sämtliche dieser sieben Bewerber seien besser geeignet gewesen als die Klägerin, jedenfalls aber nicht schlechter. Das gelte selbst dann, wenn die Beklagt auf eine bestimmte Notengrenze verzichtet hätte.
Die Beklagte rügt weiterhin, dass die Klägerin vorrangig einstweiligen Rechtsschutz hätte in Anspruch nehmen müssen, um einen Bewerbungsverfahrensanspruch geltend zu machen. Schließlich hält die Beklagte an ihrer Rechtsansicht zur Rechtmäßigkeit der von ihr angewandten Notengrenze als Anforderungskriterium fest.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I. Die Berufung der Klägerin ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist– sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO). Das Gleiche gilt für die zweitinstanzliche Klageerweiterung (§ 264 ZPO).
II. Das Rechtsmittel bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg. Die zulässige Klage ist insgesamt unbegründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Schadenersatz wegen Nichtberücksichtigung als Stellenbewerberin.
1. Bereits das Arbeitsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung die tatbestandlichen Voraussetzungen für den von der Klägerin geltend gemachten Schadenersatzanspruch nach § 280 Abs. 1 BGB sowie § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 33 Abs. 2 GG zutreffend im Einzelnen dargestellt. Hierauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
Danach kann ein übergangener Bewerber Schadenersatz wegen der Nichtberücksichtigung seiner Bewerbung verlangen, wenn ein Arbeitgeber, der bei seiner Auswahlentscheidung an die Vorgaben des Art. 33 Abs. 2 GG gebunden ist, eine zu besetzende Stelle zu Unrecht an einen Konkurrenten vergibt, die bei ordnungsgemäßer Auswahl ihm hätte übertragen werden müssen, und der Bewerber es nicht unterlassen hat, den Schaden durch den Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwehren (BAG, Urteil vom 28.01.2020 – 9 AZR 91/19, NZA 2020, 582).
Vorliegend fehlt es bereits an der zweiten o. g. Anspruchsvoraussetzung, denn die Klägerin hat es unterlassen, im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Ablehnung ihrer Stellenbewerbung gerichtlich vorzugehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts trifft den Dienstherrn eine Pflicht zur Mitteilung der Auswahlentscheidung an die abgelehnten Bewerber im Hinblick auf die Möglichkeit einer Offenhaltung der Stelle durch einen vorläufigen Rechtsschutzantrag (BVerfG, Beschluss vom 19.09.1989 – 2 BvR 1567/88, NJW 1990, 501 [BVerfG 19.09.1989 – 2 BvR 1576/88]; BVerfG, Beschluss vom 09.07.2007 – 2 BvR 206/07, NVwZ 2007, 1178). Dabei gilt nach der Rechtsprechung eine zweiwöchige Wartezeit, um dem abgelehnten Mitbewerber die Möglichkeit zu geben, einen Eilantrag, Beschwerde oder Verfassungsbeschwerde zu erheben, weil nur so die Möglichkeit der Gewährung effektiven Rechtsschutzes besteht (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11.02.2020 – 7 Sa 1305/19, juris; BVerwG, Urteil vom 04.11.2010 – 2 C 16/09, NJW 2011, 695 jeweils mit weiteren Nachweisen).
Die Beklagte hat die Klägerin mit Schreiben vom 18.10.2019, das ihr am 22.10.2019 zugegangen ist, über die Ablehnung ihrer Bewerbung informiert. Die Klägerin hätte demnach bis spätestens 05.11.2019 ihren Bewerbungsverfahrensanspruch im wegen des einstweiligen Rechtsschutzes geltend machen müssen. Dies hat sie nicht getan und stattdessen eine Woche später mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten eine Neubescheidung ihrer Bewerbung begehrt. Dass sich ihr Prozessbevollmächtigter zwischenzeitlich bis zum 29.10.2019 im privaten Urlaub befand ist dabei rechtlich ebenso unerheblich wie ihr Einwand, es sei nicht absehbar gewesen, dass die Beklagte das Bewerbungsverfahren so schnell abschließen würde. Beiden Einwänden steht die oben dargestellte allgemein bekannte zweiwöchige Frist entgegen.
2. Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin stellt des Weiteren auch die von der Beklagten ihrer Auswahlentscheidung zugrunde gelegte Notengrenze kein unzulässiges Auswahlkriterium dar. Die erkennende Kammer folgt insoweit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil vom 24.01.2013 – 8 AZR 429/11, NZA 2013, 498; BAG, Urteil vom 07.04.2011 – 8 AZR 679/09, NZA-RR 2011, 494). In der erstgenannten Entscheidung hat der 8. Senat des Bundesarbeitsgerichts grundsätzlich klargestellt, dass der öffentliche Arbeitgeber in jedem Fall berechtigt, wenn nicht sogar verpflichtet ist, nur die von der Examensnote her besten Bewerber in die engere Auswahl einzubeziehen. Das gebietet die nach Art. 33 Abs. 2 GG vorzunehmende Bestenauslese. Dabei braucht hierauf in der Stellenausschreibung nicht einmal ausdrücklich hingewiesen zu werden. Die Klarstellung in der streitgegenständlichen Ausschreibung ist allerdings unschädlich. Dies entspricht auch der Rechtsprechung mehrerer Instanzgerichte, unter anderem der erkennenden Kammer (vgl. LAG Hessen, Urteil vom 27.11.2014 – 9 Sa 577/14, juris; LAG Saarland, Urteil vom 03.12.2008 – 1 Sa 71/08, juris; LAG Köln, Urteil vom 23.01.2013 – 3 Sa 686/12, juris). Die erkennende Berufungskammer sieht auch unter Berücksichtigung der Ausführungen der Klägerin in der Berufungsbegründung keine Veranlassung von dieser Rechtsprechung abzuweichen. In ihrem in der Berufungsbegründung wörtlich wiederholten Vortrag aus der ersten Instanz spricht sich die Klägerin unter Bezugnahme auf die Verfahrensweise in Bayern für eine Umrechnung länderfremder Examensnoten dergestalt aus, dass der mündliche und schriftliche Teil der Note jeweils mit derselben Prozentzahl bewertet werden. Dabei unterliegt sie jedoch dem Fehlschluss, dass selbst eine unterstellte Rechtmäßigkeit einer derartigen Vorgehensweise nicht automatisch die Rechtswidrigkeit bzw. Unzulässigkeit der gegenteiligen, starren Notenberücksichtigung zur Folge hat. Zur erfolgreichen Klageführung bedarf gerade Letztere der positiven Begründung. Genau hieran fehlt es jedoch.
3. Schließlich weist die erkennende Berufungskammer nur ergänzend darauf hin, dass die Klägerin auch zweitinstanzlich nicht schlüssig vorgetragen hat, dass sie jedenfalls zu den sieben am besten qualifiziertesten Bewerbern gezählt hat.
4. Da nach den obigen Ausführungen ein Schadenersatzanspruch der Klägerin nicht besteht, ist auch der weitergehende Feststellungsantrag nicht begründet.
III. Nach allem bleibt es somit bei der klageabweisenden, erstinstanzlichen Entscheidung. Die Klägerin hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des von ihr erfolglos eingelegten Rechtsmittels zu tragen. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor, da sämtliche entscheidungserheblichen Rechtsfragen höchstrichterlich entschieden sind und die Entscheidung im Übrigen auf den Umständen des Einzelfalls beruht.VorschriftenArt. 33 Abs. 2 GG, § 64 Abs. 1, 2 ArbGG, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO, § 264 ZPO, § 280 Abs. 1 BGB, § 823 Abs. 2 BGB, § 97 Abs. 1 ZPO, § 72 Abs. 2 ArbGG