Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte, Thüringer Landesarbeitsgericht Urteil vom 19. Juli 2012 7 Sa 427/09
In Sachen
Beklagter, Berufungskläger und Revisionskläger,
pp.
Klägerin, Berufungsbeklagte und Revisionsbeklagte,
hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen
Verhandlung vom 19. Juli 2012 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht
Kreft, die Richterinnen am Bundesarbeitsgericht Rachor und
Dr. Rinck sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Sieg und Claes für Recht
erkannt:
1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Thüringer
Landesarbeitsgerichts vom 23. November 2010
– 7 Sa 427/09 – aufgehoben.
2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung
– auch über die Kosten des Revisionsverfahrens –
an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Entfernung einer Abmahnung aus der
Personalakte der Klägerin.
Der beklagte Landkreis ist Träger einer Volkshochschule, die organisatorisch
dem Schulverwaltungsamt zugeordnet ist. Zu der Volkshochschule
gehört ein Planetarium, für das eine Zahlstelle der Kreiskasse eingerichtet ist.
Die Klägerin ist bei dem Beklagten seit dem Jahre 2000 als Verwaltungsfachangestellte
beschäftigt. Ihr wurde mit Wirkung zum 1. Dezember 2006
die Tätigkeit einer Haushaltssachbearbeiterin der Volkshochschule übertragen.
Sie war verantwortlich für die Zahlstelle des Planetariums.
Die Einnahme- und Auszahlungsanordnungen für das Planetarium wurden
anlässlich einer Dienstberatung Anfang März 2007 zur Entlastung der
Klägerin ihrer Vertreterin – Frau H – übertragen. Mit einem Schreiben an die
Dezernentin vom 25. Mai 2007 beantragte der Leiter der Volkshochschule, die
Verantwortlichkeit für die Zahlstellenverwaltung dahin zu ändern, dass Frau H
als Hauptverantwortliche eingesetzt werde, die Klägerin nurmehr im Vertretungsfall.
Mitte Juli 2007 übergab die Klägerin die Zahlstelle anlässlich ihres bevorstehenden
Urlaubs an den Leiter der Volkshochschule. Anstelle des Originalkassenbuchs
händigte sie ihm eine von ihr gefertigte Zweitfassung mit nur
ein oder zwei Eintragungen aus, in die Quittungen eingelegt waren. Der Leiter
bemerkte das Fehlen des Originalbuchs, ohne Schritte zur Aufklärung seines
Verbleibs zu unternehmen. Bei einer im August 2007 durchgeführten Kontrolle
durch die Leiterin der Kreiskasse wurde es nicht mehr aufgefunden. Die Klägerin
gab bei einer Anhörung an, sie habe das Kassenbuch am 26. April 2007 an
Frau H übergeben. Sie sei nur noch deren Vertreterin gewesen. Sie habe das
Kassenbuch im Vertretungsfall nicht zurückerhalten. Sie habe deshalb ein
zweites angelegt.
Mit Schreiben vom 16. April 2008 mahnte der Beklagte die Klägerin ab.
Er beanstandete, dass das Kassenbuch in der Zeit abhanden gekommen sei,
zu der sie für die Verwaltung der Zahlstelle verantwortlich gewesen sei. Sie
habe dadurch gegen ihre Pflicht zur sorgfältigen Führung der Zahlstelle verstoßen.
Zudem habe sie durch ihre Erklärungen den Eindruck erweckt, die Verantwortung
für die nicht ordnungsgemäße Führung der Zahlstelle und das
Abhandenkommen des Kassenbuchs treffe die Vertreterin.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Rücknahme der Abmahnung verlangt.
Sie hat behauptet, Frau H sei am 5. März 2007 mit der Arbeitsaufgabe
„Planetarium“ beauftragt worden.
Die Klägerin hat beantragt
den Beklagten zu verurteilen, die ihr mit Schreiben
vom 16. April 2008 erteilte Abmahnung zurückzunehmen
und aus der Personalakte zu entfernen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat behauptet,
die Klägerin sei weiterhin für die Verwaltung der Zahlstelle verantwortlich
gewesen. Am 5. März 2007 seien zu ihrer Entlastung lediglich die Einnahmeund
Auszahlungsanordnungen auf Frau H übertragen worden. Bis zur Kassenprüfung
im August 2007 sei die Planung, diese zur Kassenverantwortlichen zu
bestellen, nicht umgesetzt worden. Die Angabe der Klägerin, sie habe Ende
April 2007 das Originalkassenbuch übergeben und nicht mehr zurückerhalten,
treffe nicht zu.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit seiner Revision
verfolgt der Beklagte sein Begehren weiter, die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils
(§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht
(§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Mit der von ihm gegebenen
Begründung durfte das Landesarbeitsgericht der Klage nicht stattgeben (I.). Ob
der Beklagte verpflichtet ist, die Abmahnung vom 16. April 2008 aus der Personalakte
der Klägerin zu entfernen, steht noch nicht fest (II.).
I. Das Landesarbeitsgericht hat auf Basis der bisherigen Feststellungen
zu Unrecht angenommen, die Klägerin habe einen Anspruch auf Rücknahme
und Entfernung der Abmahnung aus ihrer Personalakte.
1. Arbeitnehmer können in entsprechender Anwendung von §§ 242, 1004
Abs. 1 Satz 1 BGB die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus
ihrer Personalakte verlangen. Der Anspruch besteht, wenn die Abmahnung
entweder inhaltlich unbestimmt ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält,
auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers
beruht oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt, und auch
dann, wenn selbst bei einer zu Recht erteilten Abmahnung kein schutzwürdiges
Interesse des Arbeitgebers mehr an deren Verbleib in der Personalakte besteht
(BAG 12. August 2010 – 2 AZR 593/09 – Rn. 10, AP GG Art. 4 Nr. 8;
27. November 2008 – 2 AZR 675/07 – Rn. 13 – 17 mwN, AP BGB § 611 Abmahnung
Nr. 33 = EzA BGB 2002 § 314 Nr. 4).
2. Nicht zu beanstanden ist, dass das Landesarbeitsgericht nicht zwischen
einem Anspruch auf Rücknahme der Abmahnung und einem solchen auf ihre
Entfernung aus der Personalakte differenziert hat.
a) Das Begehren auf Rücknahme einer Abmahnung wird neben dem auf
ihre Entfernung aus der Personalakte zumeist nicht eigenständig verfolgt. Eine
mit dem Klageantrag verlangte „Rücknahme und Entfernung“ der Abmahnung
ist dann als einheitlicher Anspruch auf Beseitigung der durch die Abmahnung
erfolgten Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts zu verstehen (vgl. BAG
27. Januar 1988 – 5 AZR 604/86 – RzK I 1 Nr. 26; Hessisches LAG 22. Juni
2010 – 12 Sa 829/09 – Rn. 17; LAG Köln 15. Juni 2007 – 11 Sa 243/07 –
Rn. 26 f.). Kann der Klagebegründung dagegen entnommen werden, der Kläger
begehre neben einer Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte beispielsweise
den Widerruf darin enthaltener Äußerungen, kann ein Antrag auf
Rücknahme der Abmahnung in diesem Sinne auszulegen sein (vgl. LAG Nürnberg
14. Juni 2005 – 6 Sa 582/04 – zu 3 der Gründe, AR-Blattei ES 20 Nr. 41;
Hessisches LAG 22. Juni 2010 – 12 Sa 829/09 – aaO).
b) Im Streitfall bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin
neben der Entfernung der Abmahnung aus ihrer Personalakte einen weiteren
Anspruch verfolgt. Sie hat sich nicht dagegen gewandt, dass die Vorinstanzen
den Klageanspruch als ein einheitliches Begehren auf Rücknahme der Abmahnung
eben durch ihre Entfernung aus der Personalakte verstanden haben.
3. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, der Beklagte sei zur Entfernung
der Abmahnung aus der Personalakte der Klägerin verpflichtet, hält einer
revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Das Landesarbeitsgericht hat
angenommen, das Abhandenkommen des Originalkassenbuchs falle zwar in
die Zeit der Verantwortlichkeit der Klägerin, der Beklagte habe aber kein
schutzwürdiges Interesse mehr daran, dass die Abmahnung in deren Personalakte
verbleibe.
a) Personalakten sind eine Sammlung von Urkunden und Vorgängen, die
die persönlichen und dienstlichen Verhältnisse eines Mitarbeiters betreffen und
in einem inneren Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis stehen. Sie sollen
ein möglichst vollständiges, wahrheitsgemäßes und sorgfältiges Bild über diese
Verhältnisse geben (BAG 8. Februar 1989 – 5 AZR 40/88 – RzK I 1 Nr. 47;
9. Februar 1977 – 5 AZR 2/76 – zu II 2 der Gründe, AP BGB § 611 Fürsorgepflicht
Nr. 83 = EzA BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 21). Ein Arbeitnehmer kann
deshalb nur in Ausnahmefällen die Entfernung auch solcher Aktenvorgänge
verlangen, die auf einer richtigen Sachverhaltsdarstellung beruhen (BAG
8. Februar 1989 – 5 AZR 40/88 – zu II 2 der Gründe, aaO; 7. September 1988
– 5 AZR 625/87 – zu III der Gründe, AP BGB § 611 Abmahnung Nr. 2 = EzA
BGB § 611 Abmahnung Nr. 17; 13. April 1988 – 5 AZR 537/86 – zu I der Gründe,
AP BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 100 = EzA BGB § 611 Fürsorgepflicht
Nr. 47). Ein solcher Fall liegt vor, wenn eine Interessenabwägung im Einzelfall
ergibt, dass die weitere Aufbewahrung zu unzumutbaren beruflichen Nachteilen
für den Arbeitnehmer führen könnte, obwohl der beurkundete Vorgang für das
Arbeitsverhältnis rechtlich bedeutungslos geworden ist (BAG 30. Mai 1996
– 6 AZR 537/95 – zu II 4 der Gründe, AP BGB § 611 Nebentätigkeit Nr. 2 = EzA
BGB § 611 Abmahnung Nr. 34; 8. Februar 1989 – 5 AZR 40/88 – aaO;
7. September 1988 – 5 AZR 625/87 – aaO).
b) Diesen Maßstab hat das Landesarbeitsgericht verkannt.
aa) Es hat angenommen, eine Abmahnung könne nach längerem einwandfreien
Verhalten des Arbeitnehmers ihre Wirkung verlieren, wofür die Umstände
des Einzelfalls maßgeblich seien (vgl. BAG 18. November 1986 – 7 AZR
674/84 – zu II 5 der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung
Nr. 17 = EzA BGB § 611 Abmahnung Nr. 4). Dies trifft zwar zu. So kann
es nach einer längeren Zeit einwandfreier Führung einer erneuten Abmahnung
bedürfen, bevor eine verhaltensbedingte Kündigung wegen einer erneuten
gleichartigen Pflichtverletzung gerechtfertigt wäre (vgl. BAG 18. November
1986 – 7 AZR 674/84 – aaO). Berücksichtigt worden ist damit aber nur die
Warnfunktion einer Abmahnung. Mit einer Abmahnung übt ein Arbeitgeber
dagegen seine arbeitsvertraglichen Gläubigerrechte in doppelter Hinsicht aus.
Zum einen weist er den Arbeitnehmer als seinen Schuldner auf dessen vertragliche
Pflichten hin und macht ihn auf die Verletzung dieser Pflichten aufmerksam
(Rüge- und Dokumentationsfunktion). Zum anderen fordert er ihn für die
Zukunft zu einem vertragstreuen Verhalten auf und kündigt, sofern ihm dies
angebracht erscheint, individualrechtliche Konsequenzen für den Fall einer
erneuten Pflichtverletzung an (Warnfunktion) (BAG 11. Dezember 2001 – 9 AZR
464/00 – zu I der Gründe, BAGE 100, 70; 30. Mai 1996 – 6 AZR 537/95 – zu II 1
der Gründe, AP BGB § 611 Nebentätigkeit Nr. 2 = EzA BGB § 611 Abmahnung
Nr. 34; 26. Januar 1995 – 2 AZR 649/94 – zu B III 4 a der Gründe, BAGE 79,
176).
bb) Ein Anspruch auf Entfernung einer zu Recht erteilten Abmahnung setzt
demnach nicht nur voraus, dass die Abmahnung ihre Warnfunktion verloren hat.
Der Arbeitgeber darf auch kein berechtigtes Interesse mehr an der Dokumentation
der gerügten Pflichtverletzung haben. Der Arbeitnehmer kann die Entfernung
einer zu Recht erteilten Abmahnung aus seiner Personalakte nur dann
verlangen, wenn sie für die Durchführung des Arbeitsverhältnisses unter keinem
rechtlichen Aspekt mehr eine Rolle spielen kann. Das durch die Abmahnung
gerügte Verhalten muss für das Arbeitsverhältnis in jeder Hinsicht rechtlich
bedeutungslos geworden sein. Das ist nicht der Fall, solange eine zu Recht
erteilte Abmahnung etwa für eine zukünftige Entscheidung über eine Versetzung
oder Beförderung und die entsprechende Eignung des Arbeitnehmers, für
die spätere Beurteilung von Führung und Leistung in einem Zeugnis oder für die
im Zusammenhang mit einer möglichen späteren Kündigung erforderlich werdende
Interessenabwägung von Bedeutung sein kann. Darüber hinaus kann es
im berechtigten Interesse des Arbeitgebers liegen, die Erteilung einer Rüge im
Sinne einer Klarstellung der arbeitsvertraglichen Pflichten weiterhin dokumentieren
zu können. Demgegenüber verlangen die schutzwürdigen Interessen des
Arbeitnehmers nicht, einen Anspruch auf Entfernung einer zu Recht erteilten
Abmahnung schon dann zu bejahen, wenn diese zwar ihre Warnfunktion
verloren hat, ein Dokumentationsinteresse des Arbeitgebers aber fortbesteht.
Auch wenn sich eine Abmahnung noch in der Personalakte befindet, ist im
Rahmen eines möglichen Kündigungsrechtsstreits stets zu prüfen, ob ihr noch
eine hinreichende Warnfunktion zukam (vgl. etwa BAG 18. November 1986
– 7 AZR 674/84 – zu II 5 der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte
Kündigung Nr. 17 = EzA BGB § 611 Abmahnung Nr. 4).
cc) Diese Voraussetzungen eines Entfernungsanspruchs hat das Landesarbeitsgericht
nicht sämtlich geprüft.
(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Abmahnung sei wegen
Zeitablaufs nicht mehr wirksam und deshalb aus der Personalakte der Klägerin
zu entfernen. Mit der Verwaltung der Zahlstelle sei die Klägerin offensichtlich
überfordert gewesen. Ihr seit der Abmahnung beanstandungsfreies Verhalten
lasse den Schluss zu, sie werde künftig ihre Arbeitspflichten ordnungsgemäß
erfüllen.
(2) Die Begründung des Landesarbeitsgerichts lässt nicht erkennen, an
welchem Maßstab es sich orientiert und diese Einzelfallumstände gewürdigt
hat. Es ist nicht ersichtlich, dass es geprüft hätte, ob die Abmahnung für das
Arbeitsverhältnis in jeder Hinsicht rechtlich bedeutungslos geworden ist. Das
Landesarbeitsgericht hat nicht alle rechtlichen Gesichtspunkte erwogen und
ausgeschlossen, unter denen der Beklagte ein berechtigtes Interesse an dem
weiteren Verbleib der Abmahnung in der Personalakte der Klägerin haben
könnte. Es hat insbesondere nicht gewürdigt, ob das gerügte Fehlverhalten der
Klägerin weiterhin von Bedeutung für eine Beurteilung ihrer Fähigkeiten und
Leistungen als Haushaltssachbearbeiterin sein konnte. Dagegen spricht nicht
schon der Umstand, dass nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts die Gefahr
einer erneuten Pflichtverletzung nicht mehr bestand. Sollte mit dem Landesarbeitsgericht
anzunehmen sein, die Klägerin sei mit der Verwaltung der Zahlstelle
überfordert gewesen, spricht dies mit Blick auf künftige Einsatzmöglichkeiten
eher für ein berechtigtes Interesse des Beklagten an einer Beibehaltung
der Dokumentation.
II. Ob der Beklagte verpflichtet ist, die Abmahnung vom 16. April 2008 aus
der Personalakte der Klägerin zu entfernen, steht danach noch nicht fest.
1. Eine solche Verpflichtung besteht auf der Grundlage der bisherigen
Feststellungen nicht deshalb, weil die Abmahnung eine falsche Tatsachenbehauptung
oder unzutreffende rechtliche Wertung insoweit enthielte, wie der
Beklagte rügt, die Klägerin habe Frau H bezichtigt, für das Verschwinden des
Kassenbuchs die Verantwortung zu tragen.
a) Der Beklagte hat sowohl im Text der Abmahnung als auch im Rechtsstreit
angegeben, worauf er diesen Vorwurf stützt. Die Klägerin habe bei ihrer
Anhörung angegeben, der Kollegin am 26. April 2007 das Originalkassenbuch
übergeben und es von ihr nicht wieder zurückerhalten zu haben. Dies treffe
nicht zu.
b) Entspräche die Behauptung des Beklagten, die Klägerin habe das
Originalkassenbuch Ende April 2007 nicht ihrer Kollegin übergeben, der Wahrheit,
enthielte seine Rüge, die Klägerin habe dadurch die Kollegin bezichtigt, für
das Verschwinden des Kassenbuchs verantwortlich zu sein, weder eine falsche
Tatsachenbehauptung, noch beruhte sie auf einer unzutreffenden rechtlichen
Würdigung. Es ginge dann nicht nur um eine möglicherweise von der Klägerin
missverstandene Beschlusslage von Anfang März 2007, wie das Arbeitsgericht
gemeint hat. Die Klägerin hätte vielmehr selbst unzutreffende Angaben zu einer
tatsächlichen Übergabe des Kassenbuchs mit der Folge gemacht, dass ihre
Kollegin als verantwortlich für das Verschwinden des Kassenbuchs erscheinen
musste.
2. Sonstige Gründe für einen Anspruch der Klägerin auf Entfernung der
Abmahnung sind auf Basis der bisherigen Feststellungen nicht gegeben. Die
Abmahnung ist weder inhaltlich zu unbestimmt noch verstößt sie gegen den
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
3. Umgekehrt ist ein Anspruch der Klägerin auf Entfernung der Abmahnung
vom 16. April 2008 nicht deshalb generell ausgeschlossen, weil die
Abmahnung für die bei einer möglichen späteren Kündigung erforderlich werdende
Interessenabwägung während der gesamten Dauer des Arbeitsverhältnisses
ihre Bedeutung behielte. Maßgeblich sind vielmehr die Umstände des
Einzelfalls.
a) Im Schrifttum wird teilweise angenommen, der Arbeitgeber habe ein
dauerhaftes Interesse an dem Verbleib einer zu Recht erteilten Abmahnung in
der Personalakte des Arbeitnehmers (vgl. Kleinebrink BB 2011, 2617, 2622;
Ritter DB 2011, 175, 176 f.; Schrader NZA 2011, 180, 181). Die Abmahnung
möge zwar nach einem gewissen Zeitablauf ihre Warnfunktion verlieren, im
Rahmen der Interessenabwägung müsse sich der Arbeitgeber aber weiterhin
auf sie berufen dürfen (Schrader aaO). Durch bloßen Zeitablauf könne die
Abmahnung nicht bedeutungslos werden, weil für die Abwägung der beiderseitigen
Interessen erheblich sein könne, ob das Arbeitsverhältnis während seines
– gesamten – Bestands störungsfrei gewesen sei (Ritter DB 2011, 175, 176).
Der Arbeitgeber müsse die Möglichkeit haben, Unterlagen, die einen Vertrauenszuwachs
verhindern könnten, dauerhaft in der Personalakte zu belassen
(Kleinebrink aaO).
b) Zutreffend ist, dass eine Abmahnung für eine spätere Interessenabwägung
auch dann noch Bedeutung haben kann, wenn sie ihre kündigungsrechtliche
Warnfunktion verloren hat. So kann in die Interessenabwägung bei einer
verhaltensbedingten Kündigung ein zuvor störungsfreier Verlauf des Arbeitsverhältnisses
einzubeziehen sein (vgl. BAG 7. Juli 2011 – 2 AZR 355/10 –
Rn. 20, AP BGB § 626 Nr. 237 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 38; 10. Juni 2010
– 2 AZR 541/09 – Rn. 34, BAGE 134, 349). An einem solchen kann es fehlen,
wenn der Arbeitnehmer schon einmal abgemahnt wurde. Gleichwohl besteht
ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers an der Dokumentation einer Pflichtverletzung
nicht zwangsläufig für die gesamte Dauer des Arbeitsverhältnisses.
So kann ein hinreichend lange zurückliegender, nicht schwerwiegender und
durch beanstandungsfreies Verhalten faktisch überholter Pflichtenverstoß seine
Bedeutung für eine später erforderlich werdende Interessenabwägung gänzlich
verlieren. Eine nicht unerhebliche Pflichtverletzung im Vertrauensbereich wird
demgegenüber eine erhebliche Zeit von Bedeutung sein.
III. Bei der neuen Verhandlung und Entscheidung wird das Landesarbeitsgericht
die folgenden Erwägungen zu berücksichtigen haben.
1. Bislang ist nicht aufgeklärt, ob die Abmahnung vom 16. April 2008 eine
unrichtige Tatsachenbehauptung oder falsche rechtliche Bewertung enthält. Die
Klägerin hat zwar nicht bestritten, bei ihrer Anhörung angegeben zu haben, sie
habe ihrer Kollegin schon Ende April 2007 die Zahlstelle übergeben. Eine
Pflichtverletzung läge darin aber nur, wenn dies nicht der Wahrheit entspräche.
Hierzu haben die Parteien widerstreitend vorgetragen.
2. Ebenso wenig wie für das Fortbestehen der Warnfunktion einer Abmahnung
(vgl. BAG 18. November 1986 – 7 AZR 674/84 – zu II 5 der Gründe,
AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17 = EzA BGB § 611
Abmahnung Nr. 4) gibt es eine fest bemessene Frist für die Dauer, für welche
ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers an ihrem Verbleib in der Personalakte
des Arbeitnehmers anzuerkennen ist. Maßgeblich sind die Umstände des
Einzelfalls, insbesondere die Schwere des gerügten Fehlverhaltens. Je schwerer
eine Pflichtverletzung wiegt, desto länger kann sie für die Beurteilung der
Führung, der Leistungen und der Fähigkeiten des Arbeitnehmers und ggf. für
seine Vertrauenswürdigkeit von Bedeutung sein. Ein auf nur geringer Nachlässigkeit
beruhender Ordnungsverstoß kann seine Bedeutung für das Arbeitsverhältnis
deutlich eher verlieren (vgl. dazu BAG 27. Januar 1988 – 5 AZR 604/86 –
zu III der Gründe, RzK I 1 Nr. 26) als ein Fehlverhalten, welches geeignet ist,
das Vertrauen in die Integrität des Arbeitnehmers erheblich zu beeinträchtigen.
Auch eine schwere Pflichtverletzung im Leistungsbereich wird ein Interesse des
Arbeitgebers an einem Verbleib der Abmahnung in der Personalakte angesichts
der Möglichkeit, die Qualität der Arbeitsleistung und die Befähigung des Arbeitnehmers
für höherwertige oder andere Tätigkeiten beurteilen zu müssen, für
längere Zeit begründen können.